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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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den Schluß zu, daß es ihm nicht egal war.»

    Lewis nickte sein Einverständnis.
    «Und jetzt kommt das Problem, Lewis: wenn es ihm also offensichtlich nicht egal war, warum um alles in der Welt hat er dann nicht alle Hinweise beseitigt, warum hat er dem Toten seinen Anzug gelassen? Und warum hat er ihm nicht den Brief aus der Tasche genommen? Ich gebe zu: daß wir jetzt wissen, daß der Anzug Browne-Smith gehört, verdanken wir auch noch anderen Informationen, und auch der Brief an sich ist nicht ganz eindeutig. Aber alles in allem braucht man wirklich kein Shylock zu sein, um...»
    «Sherlock, Sir, Sherlock», korrigierte ihn Lewis sanft.
    «Shylock oder Sherlock, Lewis, Sie wissen doch, was ich meine...»
    Lewis dachte einen Moment nach, dann sagte er ehrlich: «Nein, Sir, eigentlich nicht.»
    Auch Morse waren während der letzten halben Minute plötzlich Zweifel an der Logik dessen, was er da gesagt hatte, gekommen. Da er jedoch aus Erfahrung zu wissen glaubte, daß auch noch der größte Unsinn, den man verzapft, ein Körnchen Wahrheit enthält, ließ er sich durch diese Zweifel nicht beirren und fuhr in seinen Ausführungen fort: «Lassen Sie uns deshalb einen Moment lang annehmen, daß der Tote nicht Browne-Smith ist, daß aber irgend jemand uns glauben machen möchte, er sei es. Und betrachten wir dann die Sache mit dem abgetrennten Kopf und den fehlenden Händen noch einmal unter diesem neuen Gesichtswinkel. Zuerst der Kopf. Wenn die Leiche einen Kopf gehabt hätte, hätten wir ein ganz sicheres Kriterium gehabt, um zu entscheiden, ob es sich bei dem Toten um Browne-Smith handelt oder nicht. Selbst wenn die Leiche solange im Wasser gelegen hätte, daß die Gesichtszüge sich schon völlig aufgelöst hätten. Denn wie wir wissen, leidet Dr. Browne-Smith an einem Gehirntumor. Und wenn er einen geöffneten Schädel vor sich auf dem Seziertisch hegen hat, wäre wohl selbst Max in der Lage, eine eindeutige Aussage zu machen, ob das Gehirn des Toten eine Anomalie aufweist oder nicht. Dasselbe gilt für die Hände. Browne-Smith hat durch eine Kriegsverletzung den Zeigefinger der rechten Hand verloren — oder so gut wie verloren; und nicht einmal der geschickteste Mikrochirurg wäre in der Lage, ihm die fehlenden Fingerglieder durch künstliche zu ersetzen, ohne daß nicht auch ein Dummbartel wie Dickson darüber stolpern würde, daß hier etwas nicht ganz echt ist. Oder anders herum: wenn der Kopf oder auch die rechte Hand am Körper belassen worden wären und ersterer weder einen Tumor noch letzterer eine Verstümmelung aufgewiesen hätten, so hätte uns das zu der sicheren Überzeugung gebracht, daß es sich bei der Leiche nicht um Browne-Smith handeln könne. Mit anderen Worten: dadurch daß der Mörder den Kopf und die Hände entfernt hat, hat er uns gleichzeitig zwei wesentliche körperliche Merkmale genommen, an Hand derer wir eine positive oder negative Entscheidung hätten fällen können bezüglich der Identität der Leiche mit Browne-Smith.»
    Lewis sah ihn zweifelnd an. «Also ich finde, das klingt alles ziemlich kompliziert, Sir. Meiner Ansicht nach komplizierter, als es in Wirklichkeit ist...»
    «Gut möglich», gab Morse zu.
    «Ehrlich gesagt, habe ich im Moment das Gefühl, als hätte ich ein bißchen den Boden unter den Füßen verloren. Normalerweise ist es meine Aufgabe, herauszubekommen, wer die Tat begangen hat, und jetzt soll ich mich auf einmal mit der Frage abgeben, wer das Opfer ist. Das ist erst einmal ungewohnt für mich.»
    Morse nickte. «Aber jedesmal, wenn wir über das Opfer nachdenken, wird auch das Bild des Täters für uns deutlicher, Lewis. Immerhin wissen wir doch jetzt bereits, daß er offenbar ein ganz gerissener Bursche ist, der uns in die Irre zu führen sucht — und dem das sogar beinahe gelungen ist.»
    «Damit läßt sich aber noch nicht besonders viel anfangen», sagte Lewis kritisch.
    «Das kommt darauf an, was für Schlußfolgerungen wir daraus ziehen. Wenn wir davon sprechen, daß er intelligent ist, beinahe so intelligent wie wir, dann stellt sich doch gleich die Frage, wo in Oxford findet man die intelligentesten Leute?»
    «Na, bei uns, Sir, oder?» fragte Lewis, seiner Sache doch nicht so ganz sicher.
    Morse lächelte nachsichtig. «Nein, Lewis, so allgemein kann man das wohl nicht sagen. Nein, ich dachte eher an die Universität, und ich habe da auch schon jemand Bestimmtes im Auge.»
    «So?» Lewis sah seinen Chef mißtrauisch an.
    «Aber ich würde sagen,

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