Das Rätsel der dritten Meile
die Vorhänge beiseite. Draußen war alles noch ruhig. Er blickte auf die stille Straße hinunter... Nur ein paar Hundert Meter weiter verlief die Banbury Road, auf der man, folgte man ihr in Richtung Norden, erst nach Kidlington gelangte und dann nach Thrupp...
Abrupt drehte er sich um und ging ins Badezimmer. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihm, daß seine Backe inzwischen wieder fast normal aussah. Zur Vorsicht schluckte er noch ein paar Penicillintabletten, dann stieg er wieder zurück ins Bett. Die Hände im Nacken verschränkt, starrte er an die Decke und begann nachzudenken... Vieles war noch unklar, aber eines stand doch fest: der Tote, den sie aus dem Kanal gezogen hatten, war nicht Browne-Smith. Er mußte wohl eingenickt sein, denn plötzlich fuhr er schweißgebadet hoch. Noch im Wachsein verfolgte ihn das quälende Gefühl, daß ein unsichtbarer Gegner ein Netz der Täuschung um ihn zusammenzog.
Nun war er endgültig wach. Er stand auf und machte sich einen Tee. Von draußen drangen die ersten Geräusche des anbrechenden Tages herein.
Obwohl der Traum ihn nachdenklich gemacht hatte, war er eigentlich doch eher zuversichtlicher Stimmung. Er hatte so eine Ahnung, als ob eine wichtige Enthüllung unmittelbar bevorstehe; und er sollte damit recht behalten. Noch am selben Tag erreichte ihn im Büro ein langer Brief, der auf seine Art mindestens genauso merkwürdig und aufregend war wie der, den Browne-Smith erhalten hatte.
Ende der ersten Meile
Die zweite Meile
Einundzwanzigstes Kapitel
Montag, 28.Juli
Morse, durch falsche Schlußfolgerungen nichtsdestoweniger auf die richtige Fährte gelangt, sieht seine Einschätzung des Falles aufs glänzendste bestätigt.
Als Morse ein paar Minuten nach acht die Tür zu seinem Büro öffnete, saß Lewis bereits am Schreibtisch — vor sich einen Daily Mirror.
«Ich sehe, die Ermittlungen lassen Ihnen keine Ruhe», sagte Morse sarkastisch.
Lewis legte die Zeitung beiseite. «Ich furchte, Ihnen ist da ein Fehler unterlaufen, Sir.»
«Soll das heißen, Sie haben sich heute morgen tatsächlich schon über den Fall Gedanken gemacht?»
«Ja», sagte Lewis etwas beleidigt. «Und wie ich Ihnen schon sagte, Sir, ich habe festgestellt, daß Ihnen ein schwerer Fehler unterlaufen ist.»
«Na, das müssen Sie mir erst mal beweisen.»
«Ich war dabei, das Kreuzworträtsel hier zu lösen, und bei Vier Waagerecht stand: Eber (Anagramm )...»
«Rebe», unterbrach ihn Morse prompt.
Lewis nickte. «Ja, stimmt. Und als ich so dabei war, dachte ich, ich prüfe doch mal nach, ob das andere wirklich auch ein Anagramm ist...»
«Welches andere, Sie müssen sich schon deutlicher ausdrücken, Lewis.»
«Simon Rowbotham — O. M. A. Browne-Smith, Sir.»
«Aber natürlich ist es das!» Morse notierte in aller Eile die beiden Namen und strich triumphierend einen um den anderen Buchstaben aus. Doch plötzlich wurde er still. «Oje, ich furchte, Sie haben recht, Lewis — hier steht ein < O >, wo ein hätte stehen müssen.»
«Ich bin, wie ich sagte, eigentlich nur durch Zufall darauf gekommen, weil ich...»
Aber Morse hörte ihm nicht zu. Sollten all seine komplizierten Überlegungen falsch gewesen sein, und der Fall lag am Ende, wie Lewis immer behauptet hatte, tatsächlich ganz einfach? Immerhin war es natürlich nicht ausgeschlossen, daß Browne-Smith ein Fehler unterlaufen war und er sich um den einen Buchstaben vertan hatte, als er den Bluff mit seinem Namen hatte in Szene setzen wollen. Aber wenn er ganz ehrlich war, so konnte er daran selbst nicht so recht glauben. Es half also alles nichts, er mußte zugeben, daß er fürs erste mit seinem Latein am Ende war.
Um halb neun klingelte das Telefon.
«Ich lese hier gerade eine Oxford Times von letzter Woche», sagte Dickson aufgeregt.
«Nicht während der Dienstzeit, hoffe ich?»
«Ich bin zu Hause, Sir. Ich habe frei.»
«Ihr Glück!»
«Was ich sagen wollte, Sir, ich habe ihn gefunden...»
«Wen?»
«Simon Rowbotham! Ich bin gerade auf der Sportseite, und da ist mir auf einmal sein Name ins Auge gesprungen. Er ist letzten Sonntag bei einem Angelwettbewerb am King’s Weir Zweiter geworden.»
«So?» sagte Morse ohne jede Begeisterung.
«Hier steht, er wohne in Botley.»
«Es ist mir völlig schnuppe, wo...»
«Wie bitte, Sir?»
«Jedenfalls vielen Dank, daß Sie mir Bescheid gegeben haben», sagte Morse.
«Jetzt müssen Sie aber auch Ihr Versprechen einlösen, Sir...»
«Welches Versprechen?»
«Na, Sie
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