Das Rätsel der dritten Meile
ist, müßte ich natürlich noch einmal auf Sie zukommen.»
«Ja, selbstverständlich. Ich werde auf alle Fälle schon einmal mit unseren Hausjuristen über die Angelegenheit sprechen.»
«Das kann nie schaden, Sir», pflichtete Morse ihm bei. «Im übrigen möchte ich mich für Ihr Entgegenkommen bedanken, auf Wiedersehen, Sir .» Er legte auf.
Lewis, der, während er den Brief las, mit einem Ohr zugehört hatte, blickte kurz hoch. Zu seinem Erstaunen sah Morse aus, als habe er gerade einen großen Erfolg errungen. Beim Chef wußte man eben nie, wie man dran war.
Lewis las den Brief zu Ende, doch noch ehe er einen Kommentar dazu hatte abgeben können, hatte Morse bereits einen neuen Auftrag für ihn: Er solle noch einmal bei Barclays Bank anrufen, sich als Chief Inspector Morse ausgeben und sich erkundigen, ob auch ein Mr. Westerby zu ihren Kunden gehöre.
Lewis tat wie ihm geheißen. Die Antwort, die er erhielt, war ein klares und eindeutiges «Ja».
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Hier die Wiedergabe des Briefes, so wie er — ohne Anrede und Unterschrift — Chief Inspector Morse und Sergeant Lewis am Vormittag des 28. Juli zu Gesicht kam.
Ich nehme an, ich darf voraussetzen, daß Sie die notwendigen Nachforschungen inzwischen eingeleitet und auch bereits erste Ergebnisse erzielt haben. Hierzu bedurfte es allerdings meiner Meinung nach auch keiner besonderen Intelligenz. Schließlich hatten Sie meinen Anzug, nicht wahr? Früher oder später dürfte das Sie oder einen Ihrer Mitarbeiter zu meinen Räumen im Lonsdale College und an meinen Kleiderschrank geführt haben, wo Sie, wie ich annehme, den Anzug des Toten mit meinen Anzügen verglichen. Das Ergebnis dieses Vergleichs wird zweifellos gewesen sein, daß jener mit meinen Anzügen in Machart und Größe übereinstimmte. Sollte das bei Ihnen die Ansicht, daß es sich bei dem Toten aus dem Kanal um meine Person handelt, verstärkt haben, so lag das, wie ich zugeben muß, durchaus in meiner Absicht. Aus keinem anderen Grund, als Sie ebendies glauben zu machen, hinterließ ich auch den zerrissenen Brief in der Gesäßtasche des Toten, in der (doch wohl richtigen?) Annahme, daß es jemandem wie Ihnen, dessen überragender Verstand allenthalben gerühmt wird, sicherlich in kürzester Zeit gelingen dürfte, das unverständliche Fragment zu einem sinnvollen Ganzen zu vervollständigen. Falls Sie also — ich nehme doch an, nur für kurze Zeit — der Täuschung erlegen sein sollten, ich sei der Tote aus dem Kanal, so möchte ich erstens feststellen, daß dem nicht so ist, und zweitens Ihnen sagen, daß Ihr Irrtum in Anbetracht der von mir fabrizierten Hinweise durchaus entschuldbar ist. Möge Ihnen das zum Trost gereichen.
Da ich nun, wenn auch vielleicht nicht mehr lange (ich nehme an, auch das haben Sie inzwischen erfahren) noch unter den Lebenden weile, so ergibt sich zwangsläufig die Frage nach der Identität des Toten, den Sie bei Thrupp aus dem Wasser bargen. Diese Frage zu beantworten dürfte in nächster Zeit Ihre vordringlichste Aufgabe sein, eine Aufgabe, bei der ich Ihnen, wenn Sie es mir erlauben, nur zu gern zur Hand ginge. In meiner Kindheit gab es ein «Schatzsuche» genanntes Spiel, bei dem man von einem Hinweis A, etwa einem Zettel, der unter einem Stein versteckt lag, zu einem Hinweis B, vielleicht einer Notiz an einem Ahornbaum, gelangte und so allmählich über C, D usw. ans Ziel geführt wurde. Dieses Spiel hat mich immer fasziniert, und ich hätte nichts dagegen, es noch einmal, zum letztenmal zu spielen — mit Ihnen. Wollen wir also den nächsten Abschnitt der «Schatzsuche» zusammen gehen, sagen wir von B nach C?
Ich denke, Sie sollten zunächst Näheres über den Brief erfahren, der Ihnen dank meiner Manipulation als Fragment ja bereits vorliegt, und über meine Reaktion darauf. Selbstverständlich kannte ich das Mädchen, von dem die Rede war. Sie war eine meiner Studentinnen, und zwar die beste ihres Jahrgangs, ich bin sogar geneigt zu sagen, daß sie auf Grund ihrer überragenden Leistungen die beste der letzten Zehn Jahrgänge war. Letzteres war am College allgemein bekannt, und aus diesem Grund war, wenn Sie so wollen, auch ihre Abschlußnote allen zu jeder Zeit bekannt. Es war klar, daß sie nicht schlechter als mit Eins abschließen würde. Unter diesen Umständen fand ich das Ersuchen, gegen eine entsprechende Gegenleistung die Abschlußnote vor der eigentlichen Veröffentlichung mitzuteilen, sehr befremdlich, zumal der
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