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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Bittsteller es vorzog, im Dunkeln der Anonymität zu verharren. Dennoch teilte ich, und zwar ziemlich umgehend, unter der angegebenen Nummer mit, daß ich bereit sei, auf den Handel — so muß man es ja wohl nennen — einzugehen. Wenn Sie das erstaunt, so lassen Sie sich sagen, daß auch Männer meines Alters noch ihre Träume und Sehnsüchte haben. Und schließlich erachtete ich das, was von mir erwartet wurde, nicht als eine allzu große Verfehlung, da ich ja im Grunde nur über etwas informieren würde, das, obschon man nicht sagen kann, es sei allen bekannt, doch von allen mit Sicherheit erwartet wurde. Ungeachtet meines Einverständnisses nach außen hin beschäftigte mich jedoch die ganze Zeit die Frage nach dem eigentlichen Zweck des Briefes, und ich werde Ihnen im weiteren einige Dinge mitteilen, die meiner Meinung nach geeignet sein könnten, ihn zu erhellen. Erlauben Sie mir jedoch noch eine kurze Erklärung vorweg.
    Ich habe einen Kollegen, dessen Räume den meinen gegenüberliegen. Sein Name ist George Westerby. Wir beide können auf viele (viel zu viele!) Jahre gemeinsamer Tätigkeit am Lonsdale College zurückblicken. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, ist unser Verhältnis nicht gerade das beste, ja man kann sagen, daß wir eine in ihrer Intensität schon beinahe kindlich anmutende Abneigung gegeneinander empfinden. Dieser Kollege nun (ich möchte mir eine nochmalige Nennung seines Namens ersparen) ist Ende des Trimesters (endlich!) in den Ruhestand getreten, und obwohl ich mich bei niemandem — schon gar nicht bei ihm selbst — nach seinen weiteren Plänen erkundigt hatte, kam ich nicht umhin zu erfahren, daß er vorhabe, unmittelbar im Anschluß an das Trimester für einige Wochen eine seiner üblichen billigen Pauschalreisen nach Griechenland zu unternehmen, und bei seiner Rückkehr eine neue Wohnung im Londoner Stadtteil Bloomsbury zu beziehen, einer Gegend, die zur Zeit «in» sein soll, wie ich gehört habe. Bevor er in die Ferien aufbrach, erteilte er, wie ich wiederum durch Dritte erfuhr, einer Londoner Speditionsfirma den Auftrag, all die vielen großen und kleinen geschmacklosen Dinge, die er im Laufe seines Lebens zusammengetragen hat, zu verpacken und in sein neues Domizil zu schaffen.
    Und nun komme ich endlich zum Eigentlichen und bitte Sie, den nun folgenden Abschnitt besonders aufmerksam zu lesen. Eines Tages vor nur wenigen Wochen sah ich einen Mann die Treppen meines Aufganges heraufkommen. Der Mann war sich nicht gewahr, daß ich ihn beobachtete. Er blickte sich zunächst etwas verstohlen, dann offener um und zog schließlich einen Schlüssel aus der Tasche, mit dem er sich Zutritt zu den Räumen meines oben erwähnten Kollegen verschaffte.
    Wenn jemand bei ihm einbrechen und sich mit seinem Ramsch aus dem Staube machen wollte, so sollte mir das nur recht sein; ich kümmerte mich nicht um den Vorfall und hatte ihn bald wieder vergessen. Durch Zufall erfuhr ich jedoch noch am Abend desselben Tages, daß es sich bei dem Mann (leider!) nicht um einen Einbrecher, sondern um den Chef jener von meinem Kollegen beauftragten Umzugsfirma gehandelt hatte, der wohl gekommen war, um sich einen Eindruck von der Menge der zu transportierenden Möbel und Kisten zu verschaffen. Ein paar Tage später sah ich den Mann zum zweitenmal. Ich erkannte ihn sofort wieder, obwohl er bis zur Unkenntlichkeit vermummt war; er hatte sich einen leuchtendroten Schal ins Gesicht gezogen, als fürchte er einen kalten Wind, es kann aber natürlich auch sein, daß der arme Kerl gerade einen Besuch beim Zahnarzt hinter sich hatte. Nur wenige Tage nach jener zweiten Begegnung erhielt ich besagten Brief, dessen eine Hälfte Ihnen ja vorliegt.
    Sind Sie jetzt schon ein wenig ungeduldig geworden und fragen sich, warum ich Ihnen das alles erzähle? Ich hoffe nicht, denn ich nehme doch an, Sie haben bereits erraten, daß ich etwas Wesentliches ausgelassen habe, und vielleicht ahnen Sie ja auch schon, was. Ja! Jener Mann auf der Treppe war für mich kein Unbekannter, und schon die erste Begegnung mit ihm hatte mich alles andere als gleichgültig gelassen, denn mit diesem Mann verbindet sich für mich die Erinnerung an das schlimmste und gleichzeitig beschämendste Ereignis meines Lebens. Aber davon später mehr.
    In den folgenden Tagen erschien der Mann, immer in Begleitung eines Angestellten, des öfteren, um, wie ich annehme, das Verpacken des Umzugsgutes zu überwachen. Und sooft ich ihn sah, jedesmal trug er

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