Das Rätsel der dritten Meile
Gedanken noch ganz bei der Entdeckung, die er gerade gemacht hatte. — Westerby besaß ein Häuschen in Thrupp... Da war es kein Wunder, daß niemand einen fremden Wagen bemerkt haben wollte. Der rote Metro Westerbys war schließlich allen vertraut...
Wieder im Büro, ließ Lewis sich in Morse’ Sessel sinken und atmete ein paarmal tief durch in der Hoffnung, damit auch seine sich überstürzenden Gedanken wieder etwas zu ordnen. Aufgeschlagen vor ihm auf dem Schreibtisch lag der grüne Aktenordner, der alles enthielt, was sie bisher zu dem Fall an Informationen zusammengetragen hatten. Lewis zog den Ordner zu sich heran und begann darin zu blättern. Im Grunde, dachte er, hatten sie nur zwei Dinge, mit denen sich etwas anfangen ließ: den Anzug und den durchgerissenen Brief. Er war gerade dabei, die von Morse rekonstruierte vollständige Fassung des Briefes noch einmal zu überfliegen, als er plötzlich stutzte. Die Zeile 7 im Original lautete: College ihr Examen in K ... Den Rest hatte Morse hinzugefügt. Zwar gab seine Ergänzung unbestreitbar Sinn, die Frage war nur — ergab sie den richtigen Sinn? Konnte es nicht auch sein, daß...
Lewis hielt mit quietschenden Reifen direkt vor dem Eingang des Akademischen Prüfungsamtes, sprang aus dem Wagen und wäre beinahe über seine eigenen Füße gestolpert. Drinnen schritt er mit suchendem Blick die Reihe der Glaskästen entlang, in denen noch immer die Prüfungsergebnisse ausgehängt waren. Vor dem Kasten mit der Aufschrift Kunstgeschichte blieb er stehen. Er zögerte einen Moment, bevor er sich traute, einen Blick auf den Bogen mit den Absolventen zu werfen, die eine Eins erzielt hatten. — Er hatte soviel Hoffnung investiert, daß er sich gegen eine mögliche Enttäuschung erst etwas wappnen wollte. Doch gleich der erste Name ließ ihn innerlich frohlocken: Jennifer Bennet. Er hatte sie also gefunden — die Studentin mit großartigen Leistungen, deren Vorname mit dem Buchstaben , deren Fach mit dem Buchstaben begann. Und das College war Lonsdale! Doch das war noch nicht alles. Als Lewis, nachdem er zuvor die Namen aller anderen Prüflinge sorgfältig studiert hatte, ans Ende der Liste kam, entdeckte er zu seiner Verblüffung, daß einer der Professoren, die mit ihrer Unterschrift die Richtigkeit der Liste bestätigt hatten, ein gewisser G. Westerby war.
Auf der Rückfahrt nach Kidlington wich Lewis’ anfängliche Euphorie jedoch einem ständig wachsenden Unbehagen, als ihm, je mehr er darüber nachdachte, um so deutlicher wurde, daß sie eine Möglichkeit bei ihren Überlegungen völlig außer acht gelassen hatten: daß nämlich der Brief in der Tasche des Toten nicht an Browne-Smith, sondern Westerby gerichtet war, was bedeuten würde... Doch hier gab Lewis auf. Für derlei Komplikationen war Morse zuständig; und er hoffte nur, daß der bald wieder zurück war.
Im Büro setzte sich Lewis sogleich an die Schreibmaschine, um seinen Bericht zu tippen. Als er fertig war, las er ihn noch einmal durch und war mit sich zufrieden. Besonders die Beschreibung Westerbys war ihm gut gelungen, fand er.
In London geboren und aufgewachsen. Mittelgroß, achtet sehr auf sein Äußeres. Plustert sich, was seine Arbeit angeht, häufig etwas auf, bewahrt dagegen über sein Privatleben strengstes Stillschweigen. W. ist schwerhörig und neigt zum Blinzeln, letzteres kann damit zusammenhängen, daß er ständig eine Zigarette im Mundwinkel hat.
Sechsundzwanzigstes
Kapitel Dienstag, 29.Juli
Die Tür im Cambridge Way bleibt geschlossen, und Morse hat Muße, seine Begegnung mit dem Geschäftsführer der Flamenco Bar Revue passieren zu lassen.
Morse stieg die drei flachen Stufen zum Eingang empor und drückte auf den einzigen Klingelknopf. Hinter der schweren lackschwarzen Tür blieb alles still. Weder war das Klingeln selbst noch auch ein Geräusch sich nähernder Schritte zu vernehmen. Er drückte ein zweitesmal auf den Knopf. Aber noch immer rührte sich drinnen nichts. Neugierig beugte er sich hinunter, um durch den Briefschlitz ins Innere des Hauses zu spähen. Er blickte in eine mit olivgrünem Teppichboden ausgelegte Eingangshalle. Im Hintergrund konnte er eine großzügig geschwungene Treppe erkennen. Achselzuckend wandte er sich ab und überquerte die Straße, um von der anderen Seite aus das Haus als Ganzes zu betrachten. Was er sah, gefiel ihm. Die Fassade war von schlichter Eleganz, und obwohl von Ruß und Rauch geschwärzt, machte sie keinen
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