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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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zur Tür, rief nach einer jungen Frau namens Racquel und bestellte bei ihr zwei doppelte Scotch — Bell’s. Morse, der sich vorhin schon tot oder halbtot in einer der übelbeleumdeten Nebenstraßen Sohos hatte liegen sehen, atmete erleichtert auf.
    Was der Geschäftsführer zu berichten hatte, war folgendes:
    Der Flamenco Club gehöre zu einem Unternehmen namens Soho Enterprises Limited, mit dem er aber so gut wie nichts zu tun habe. In regelmäßigen Abständen komme ein gewisser Mr. Schwenck her, sehe sich um, ob alles in Ordnung sei, lasse sich die Einnahmen aushändigen und zahle die Gehälter aus. Das letzte Mal habe er vor knapp drei Wochen vorbeigeschaut und den Besuch eines Mr. Williams angekündigt, dessen Wünsche ohne weitere Nachfrage zu erfüllen seien. Mr. Williams sei auch tatsächlich einen Tag später aufgetaucht, merkwürdigerweise habe er eine Sonnenbrille getragen. Er habe weder einen Drink haben wollen noch die Dienste eines der Mädchen in Anspruch genommen, sondern darum gebeten, für einen Tag den Projektor sowie zwei Rollen mit Pornofilmen ausleihen zu dürfen. Dies habe man ihm selbstverständlich gestattet. Am nächsten Tag sei er, wie verabredet, wieder dagewesen, habe ihm kommentarlos eine blaue Karte in die Hand gedrückt und dem Mädchen hinter der Bar eine Tonkassette mit irgendwelcher Klaviermusik übergeben, die sie habe auflegen sollen. Anschließend habe er ihn darüber informiert, daß im Laufe des Vormittags ein Mann vorbeikommen werde, den er, Williams, ins Büro lotsen werde, wo er, der Geschäftsführer, ihm die blaue Karte aushändigen und eine bestimmte Adresse nennen solle. Und das sei es schon gewesen.
    Im großen und ganzen nahm Morse ihm seine Geschichte ab, auch wenn er zu wissen glaubte, daß sein Gesprächspartner doch einiges ausgelassen hatte. Aber das würde er durch Nachfragen schon herausbekommen.
    «Und wieviel ist für dich dabei herausgesprungen?»
    «Für mich? Nichts! Ich...»
    «Zweihundert?»
    «Ich sagte doch, nichts!»
    «Fünfhundert?»
    «Was? Fünfhundert? Bloß dafür, daß ich...»
    «Okay. Lassen wir das. Was stand auf der Karte?»
    «Nichts Besonderes.»
    «Was heißt nichts Besonderes ?»
    «Es war eine von diesen Karten, die einem den Zutritt gestatten...»
    «Zutritt wo? Wie lautete die Adresse, die du dem Mann geben solltest?»
    «Ich... ich weiß nicht mehr.»
    «Du hast sie dir doch sicher notiert.»
    «Nein, ich habe sie mir so gemerkt.»
    «Dann mußt du ein gutes Gedächtnis haben.»
    «Ja, ich glaube schon.»
    «Und trotzdem behauptest du, du wüßtest sie nicht mehr!»
    «Weiß ich auch nicht, ist schließlich schon eine ganze Weile her.»
    «Wie lange genau?»
    «Weiß ich nicht mehr.»
    «Könnte es vielleicht Freitag, der 11. Juli, gewesen sein?»
    «Möglich.»
    «Und hat er dir den Projektor und die beiden Filme bei seinem zweiten Besuch tatsächlich wie versprochen zurückgebracht?»
    «Klar hab ich die Sachen zurückbekommen; wenn Sie sich umdrehen — da hinten steht der Projektor.»
    «Meine Frage war, ob du sie am elften zurückbekommen hast!»
    «Ja, äh... ich glaube schon.»
    Zum erstenmal hatte Morse den Eindruck, daß der Mann nicht die Wahrheit sagte, aber warum sollte er ihn wegen so einer Kleinigkeit anlügen? — Es sei denn, es war keine Kleinigkeit...
    «Noch mal zu dieser Adresse... Vielleicht ist sie dir ja inzwischen eingefallen.»
    «Cambridge Way 29», knurrte der Mann.
    Morse wollte gerade aufs neue anfangen, nach der Rückgabe des Projektors und der Filme zu fragen, als das Telefon klingelte. Mit einem Satz war der Mann am Apparat, riß den Hörer von der Gabel und preßte ihn sich dicht ans Ohr.
    «Ja...» (die Stimme des Teilnehmers am anderen Ende konnte Morse leider nicht hören) «Ja.» (Ein unwillkürlicher Blick hinüber zu Morse) «Ja.» (Schuldbewußt, und schließlich aufatmend:) «Ja, in Ordnung, wird gemacht.»
    Morse’ Hand schnellte nach vorn. Er schnappte sich den Hörer, doch es war zu spät; er hörte nur noch das Freizeichen.
    «Das war meine Frau, Inspector», sagte der Mann spöttisch, «wollten Sie mit ihr sprechen? Ich soll ihr heute abend fünf Pfund Kartoffeln mitbringen, sie hat vergessen, welche zu kaufen. Deswegen hat sie angerufen. Na ja, typisch Frau — mit den Gedanken immer woanders.»
    Morse fluchte innerlich. Der Telefonanruf hatte dem Mann sein früheres Selbstvertrauen zurückgegeben. Der würde nichts mehr erzählen, da konnte er so viel Druck machen, wie er wollte.

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