Das Rätsel der dritten Meile
etwas herausgefunden, Sir, wenn ich fragen darf?»
«Ich? Ja und nein, wie man’s nimmt. Ich habe den Tag im wesentlichen damit verbracht, über den Fall noch einmal nachzudenken — das muß ja auch mal sein.»
«Dann viel Erfolg morgen in London, Sir!»
«London? Ach so, ja. Vielen Dank. Ich... äh, ich werde Sie dann anrufen, falls ich über irgend etwas Interessantes stolpere.»
«Ich würde mich freuen, wenn Sie daran denken würden», sagte Lewis, der, was Rückmeldungen von Morse anging, schlechte Erfahrungen gemacht hatte.
«Wie? O ja — ja, ich werde mir Mühe geben.»
Ohne Lewis’ Erfolge hier schmälern zu wollen, obliegt dem Autor doch die Aufgabe, dem Leser mitzuteilen, daß Lewis’ Desinteresse an dem in Entstehung begriffenen Anglerverein objektiv ein schwerwiegender Fehler war. Hätte er zum Beispiel den Wunsch geäußert, den Probedruck mit dem Briefkopf sehen zu dürfen (ein Wunsch, dem Rowbotham sicherlich nur zu gern nachgekommen wäre), so hätte er entdeckt, daß einer der beiden zu Vizepräsidenten ehrenhalber ausersehenen Männer ein gewisser G. Westerby, Professor emeritus des Lonsdale Colleges, war.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Dienstag, 29.Juli
Morse stellt wieder einmal unter Beweis, daß er auf Frauen zu wirken vermag — er muß dazu gar nicht einmal persönlich in Erscheinung treten.
Lewis’ Morgen begann sehr erfreulich mit einem Besuch im Lonsdale College. Die Sekretärin des Rektors, die eine Schwäche für ältere Männer hatte, brachte ihm, kaum daß er saß, eine Tasse Kaffee und war, wie auch schon beim letztenmal, bereit, ihm alle seine Fragen, so gut sie konnte, zu beantworten. Lewis’ Interesse heute galt vor allem Autos, da es ihm im Gegensatz zu Morse, der diesen Punkt aus unerklärlichen Gründen bisher völlig außer acht gelassen hatte, von großer Wichtigkeit schien herauszubekommen, auf welche Weise die Leiche von London nach Thrupp transportiert worden war. Er erfuhr, daß Browne-Smith — zweifellos auf Anraten des Arztes — seinen Daimler vor ungefähr einem Monat verkauft hatte, während Westerby seinen roten Metro, soviel sie wußte, noch besaß; sie hatte ihn jedenfalls vor nicht allzu langer Zeit noch damit fahren sehen.
«Wozu braucht Westerby überhaupt einen Wagen?» fragte Lewis. «Er wohnt und arbeitet hier im College, da hat er doch unter der Woche gar keine Wege zurückzulegen...»
«Das kann ich Ihnen leider auch nicht sagen. Mr. Westerby ist in bezug auf seine Privatangelegenheiten immer sehr zurückhaltend; er erzählt nicht viel von dem, was er in seiner Freizeit tut.»
«Sie können sich nicht erinnern, daß er einmal erwähnt hätte, wohin er fuhr?»
«Nein.»
«So ein Metro ist ein hübsches kleines Auto. Und sehr sparsam im Verbrauch.»
«Ja, und auch sehr geräumig. Wenn man die Rücksitze herausnimmt, dann bekommt man eine Menge hinein.»
«Ja, das habe ich auch schon gehört.»
«Haben Sie auch ein Auto, Sergeant?»
«Ja, einen alten Mini, aber ich benutze ihn nur selten. Zur Arbeit fahre ich mit dem Bus, und wenn ich dienstlich unterwegs bin, nehme ich einen von den Polizeiwagen.»
Die Sekretärin blickte vor sich auf den Schreibtisch, dann sagte sie beiläufig: «Hat Inspector Morse auch einen Wagen?»
Lewis fand die Frage etwas merkwürdig, mochte aber nicht unhöflich sein. «Ja, einen Lancia. Er hat, glaube ich, noch nie eine andere Marke gefahren.»
«Kennen Sie ihn schon lange?»
«Ziemlich.»
«Und ist er nett?»
«Nett? Nett ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort.»
«Mögen Sie ihn?»
«Er ist nicht jemand, den man mag .»
«Aber Sie kommen gut mit ihm aus?»
«Im allgemeinen ja, ich versuche ihn so zu nehmen, wie er ist — und er ist wirklich ein bemerkenswerter Mann.»
«Sie selbst müssen aber auch ein bemerkenswerter Mann sein, Mr. Lewis. Sie haben mir doch erzählt, daß er sie immer wieder extra anfordert...»
«Ach, nein, ich bin...» Lewis wußte nicht recht, wie er den Satz zu Ende bringen sollte; ihr überraschendes Kompliment hatte ihn verwirrt. «Kennen Sie ihn eigentlich?»
Sie schüttelte den Kopf. «Ich habe nur einmal mit ihm telefoniert.»
«Oh, dann müssen Sie ja einen ganz schlechten Eindruck von ihm haben. Am Telefon ist er immer schrecklich arrogant, kommandiert die Leute herum, und alles muß am besten sofort passieren.»
«Ist er denn in Wirklichkeit anders?» fragte sie begierig.
«Ja, ja doch», sagte Lewis bestimmt. Er sah, wie sich ihr Gesicht durch ein
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