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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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hatte ihn daran erinnert, daß es auch noch ein zweites und drittes Stockwerk gab. «Hoskins, ich möchte die Wohnung sehen, die zuletzt verkauft worden ist!»
    Der Fahrstuhl trug sie in Sekundenschnelle nach oben. Hoskins brauchte einige Zeit, ehe er den richtigen Schlüssel gefunden hatte, dann öffnete er die Tür und ließ Morse vorangehen.
    Für Morse hatten sich unversehens einige Dinge geklärt, er glaubte, plötzlich wieder eine Richtung zu sehen.
    «Hat man Sie an dem Nachmittag weggeschickt, Hoskins?»
    «Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen», sagte der Hausmeister mürrisch, aber sein Widerstand brach angesichts von Morse’ Vorhaltungen bald zusammen.
    Ja, gab er zu, am Freitag vor zwei Wochen habe er morgens einen Anruf von Brooks & Gilbert erhalten, man wünsche, daß er sich ab Mittag freinehme.
    Morse nickte. So etwa hatte er sich das auch vorgestellt. Alles Nötige war unauffällig, aber nichtsdestoweniger effizient organisiert worden. Genauso unauffällig und effizient wie die geschäftliche Verbindung der beiden Brüder: der eine Makler, der andere Umzugsunternehmer... Wie viele Aufträge Alfred seinem Bruder wohl über die Jahre zugeschanzt haben mochte...? («Also, wenn Sie ein zuverlässiges Umzugsunternehmen suchen...»)
    Morse blickte sich aufmerksam in der Wohnung um: eine kleine Diele, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, Küche und Bad. Alle Räume waren frisch renoviert, und überall waren die Fußböden so makellos sauber wie der Fußboden in einem Kasernenschlafsaal, wenn sich der diensthabende Offizier zu einer Inspektion angesagt hat.
    «Hier haben Sie scheint’s auch saubergemacht, was, Hoskins?» sagte Morse.
    Der Anblick der hellgelb gestrichenen Wände und der weißglänzenden Türen und Fenster erinnerte ihn daran, daß er eigentlich schon seit Jahren vorhatte, seine dunklen Räume zu Hause wieder einmal streichen zu lassen. Und vielleicht sollte er sich auch endlich von den schweren, klobigen Walnußholzmöbeln trennen, die er von seiner Mutter geerbt hatte, und sie gegen eine leichtere, moderne Einrichtung eintauschen.
    Er trat an einen der Wandschränke, öffnete ihn und blickte hinein. Doch es gab nicht viel zu sehen, der Schrank war leer. Als er den zweiten öffnen wollte, stellte er fest, daß er verschlossen war. Das war ja eigenartig.
    «Haben Sie einen Schlüssel für diesen Schrank hier, Hoskins?»
    «Nein, Sir. Ich habe nur die Schlüssel für die Wohnungen.»
    «Ich meine, ich hätte neben der Spüle was liegen sehen...» Morse ging hinüber in die Küche und kehrte mit einem Schraubenzieher in der Hand zurück.
    «Damit müßten wir ihn aufkriegen.»
    «Ich... äh, ich möchte nicht, daß Sie Schwierigkeiten kriegen, Sir — oder ich. Ich hätte Sie eigentlich gar nicht hier heraufbringen dürfen... Und wenn Sie jetzt noch den Schrank hier aufbrechen...»
    Morse tat der Mann leid, anscheinend zitterte er innerlich vor Aufregung. «Nun beruhigen Sie sich mal, Hoskins. Für alles, was hier geschieht, übernehme ich die volle Verantwortung. Und schließlich tun wir beide nur unsere Pflicht — ich als Polizeibeamter und Sie als Bürger.» Die Worte hatten offenbar tatsächlich eine beruhigende Wirkung auf Hoskins. Er nickte leicht mit dem Kopf und schien sich dreinzuschicken, und am Ende war er es — nicht Morse, dessen Bemühungen vergeblich gewesen waren — , der den Schrank aufbekam, indem er den Schraubenzieher tief in den Spalt zwischen der Tür und dem Querbalken darüber schob und diese so aufhebelte. Auf dem Boden des Schrankes, das Gesicht zur Rückwand gedreht, lag die Leiche eines Mannes. In seinem Sportjackett, ziemlich genau zwischen den Schulterblättern, befand sich ein kleines Loch, aus dem in steter Folge Blut tropfte, das sich in einem dunklen kleinen See sammelte. Morse mußte tief Luft holen, bevor er sich überwand, unter den leblos hängenden Kopf zu fassen und ihn herumzudrehen.
    «Mein Gott!»
    Einen langen Moment lang starrten beide Männer in das Gesicht des Toten, der sie aus weit aufgerissenen, hervorquellenden Augen anzusehen schien.
    «Kennen Sie ihn?» sagte Morse heiser, seiner Stimme kaum mächtig.
    «Ich habe ihn in meinem ganzen Leben noch nie gesehen, ich schwöre, ich...» Er war aschfahl und schien am Rande eines Zusammenbruchs.
    «Schon gut, alter Junge, schon gut», sagte Morse und wollte ihm gerade beruhigend auf die Schulter klopfen, als er plötzlich die Augen verdrehte und in sich zusammensackte. Seufzend beugte sich Morse

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