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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Geschäften seines Bruders in Berührung. Alfred ist Makler und besitzt einige Bars und Clubs in Soho. In einem dieser Clubs hat mein Mann sie getroffen. Das muß vor ungefähr drei Wochen gewesen sein. Er hat sich in sie verliebt und wollte mich verlassen, um mit ihr zusammenzuleben; ich fand es durch einen Zufall heraus. Aber sie...» Sie brach ab.
    «Aber sie wollte ihn nicht», ergänzte Morse.
    Mrs. Gilbert nickte.
    «Haben Sie ihm gesagt, daß Sie Bescheid wüßten?»
    Mrs. Gilbert lächelte ein resigniertes kleines Lächeln, drehte sich um und blickte wieder aus dem Fenster. Am Horizont flog eine DC10 Richtung Heathrow. «Nein», sagte sie nach einer Weile, «nein, ich habe ihm nichts gesagt. Ich dachte, jetzt hätte ich vielleicht eine neue Chance... Verstehen Sie? Er war doch der einzige Mensch, den ich hatte.»
    «War denn die Geschichte für ihn erledigt?»
    «Er hat sicher immer noch an sie gedacht. So ein Abschied braucht Zeit.»
    Morse sah sie an — eine ganz gewöhnliche Frau, doch mit einer ganz ungewöhnlichen Liebe. «Erzählen Sie mir von dieser anderen Frau.»
    «Sie wird überall Yvonne genannt, so heißt sie aber nicht wirklich. Ihren richtigen Namen kenne ich nicht, nur ihre Initialen. Sie lauten , und ich weiß auch, wo sie wohnt. Es ist eine Straße südlich der Richmond Road. Colebourne Road. Die Hausnummer ist 23 A.»
    «Sind Sie bei ihr gewesen, um mit ihr zu sprechen?»
    Sie schüttelte den Kopf. «Sie scheinen nicht viel von Frauen zu verstehen, Inspector...»
    «Kann schon sein», sagte Morse lapidar. Ihn drängte es plötzlich zum Aufbruch. «Werden Sie jetzt zurechtkommen, wenn ich Sie allein lasse?»
    «Ja, natürlich, machen Sie sich um mich keine Gedanken. Ich werde gleich, wenn Sie gegangen sind, bei meinem Hausarzt anrufen und ihn bitten, mir ein paar Beruhigungstabletten zu verschreiben. Damit wird es schon gehen.»
    Morse nickte. «Die ersten Stunden sind immer die schlimmsten. Ich kann Ihnen nachfühlen, wie Ihnen jetzt zumute ist...»
    «Das glaube ich nicht», sagte sie heftig. «Die ersten Stunden sind die schlimmsten — Sie haben wirklich keine Ahnung. Die nächsten Stunden zu überstehen ist kein Problem. Das Problem ist, was morgen sein wird. Sie haben mir zwar eben gesagt, daß Albert tot sei, und ich habe es gehört, aber es hat mich noch gar nicht erreicht. Der Schock, nehme ich an. Aber der Schock wird nachlassen, und dann wird es schlimm — wenn ich anfange zu begreifen...»
    Plötzlich machte sie einen Schritt auf ihn zu, lehnte sich an seine Schulter und begann heftig zu schluchzen. Und obwohl Morse in diesem Moment eine tiefe Zuneigung zu ihr spürte, bedeutete es für ihn doch eine Anstrengung, seine Scheu zu überwinden und ihr den Arm um die Schulter zu legen.
    Nach einigen Minuten machte er sich sanft von ihr los und ging zur Tür.
    «Geben Sie gut auf sich acht, Mrs. Gilbert.»
    «Ja, ja, Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen, ich passe schon auf mich auf.»
    «Wenn es irgend etwas gibt, was ich für Sie tun kann...»
    Sie lächelte unter Tränen. «Gehen Sie behutsam mit ihr um, Inspector. Ich habe Ihnen angemerkt, daß Sie innerlich schon ungeduldig sind, hier wegzukommen, um zu ihr zu fahren; und ich wollte Ihnen, bevor Sie gehen, nur noch sagen, daß sie eine zauberhafte Frau ist — ich habe nie jemanden kennengelernt, der so liebenswert wäre wie sie.»
    Morse beugte sich vor und küßte sie sacht auf die Stirn. Und während er langsam zurück zur U-Bahnstation ging, dachte er, daß Albert Gilbert Jahr um Jahr neben dieser Frau gelebt hatte, vermutlich ohne jemals zu begreifen, was für ein wunderbarer Mensch sie war.
    Obwohl Morse sicher zu wissen glaubte, daß der Fall in Bewegung geraten und Eile geboten war, konnte er doch der Versuchung, welche die geöffneten Türen der Bar des Manor Hotel auf ihn ausübten, nicht widerstehen. Nach zwei Bieren und schon nicht mehr ganz nüchtern, dachte er, während er den Prostituierten und Zuhältern zusah, die draußen ihren Geschäften nachgingen, über die Frage nach, ob er die Redensart «Es gibt Zufälle, die gibt es gar nicht» wohl bald aus eigener Erfahrung würde bestätigen können. «W. S.» — Browne-Smith hatte in seinem Brief die Initialen erwähnt, und auch Emily Gilbert hatte sie genannt... «W. S.» — die Initialen, die für den Namen eines Mädchens standen, das er selbst vor langer Zeit einmal gekannt und bis zur Selbstaufgabe geliebt hatte.
    Zwanzig Minuten nachdem

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