Sir», bemerkte Lewis eifrig. «Sie nennen es
.»
«Mit dem Psychologenjargon wollen wir erst gar nicht anfangen, Lewis!»
In ihr Schweigen hinein klingelte das Telefon.
«Sehr schön... Gut gemacht!» sagte Morse. «Können Sie sie beschreiben? ...Ja. Genau, wie ich gedacht habe... Ja, es gibt angenehmere Aufgaben, da stimme ich Ihnen sofort zu. Sind Sie einverstanden, daß ich Ihnen morgen meinen Sergeant schicke? ... Gut. Und vielen Dank, daß Sie mich gleich angerufen haben. Dann kann ich diesen Punkt jetzt auch abhaken.»
«Wer war das, Sir?»
Statt einer Antwort streckte Morse dem Sergeant seinen leeren Plastikbecher entgegen. «Ob Sie uns wohl noch einmal Kaffee holen würden, Lewis?»
Lewis nahm den Becher und trollte sich.
Siebenunddreißigstes Kapitel
Montag, 4. August
Morse bringt unter Zuhilfenahme seiner Phantasie die Rekonstruktion der Ereignisse zum Abschluß - fast.
Es war noch gar nicht so lange her, seit Morse zum erstenmal auf den Ausdruck «faction» gestoßen war, der, selber eine Verbindung aus «fact» und «fiction» zur Bezeichnung eben dieser Mischung aus Erfundenem und Tatsachen diente. Während Lewis noch unterwegs war, den Kaffee zu holen, dachte Morse, daß dieser Begriff exakt auf die von ihm vorgenommene Rekonstruktion der Ereignisse, nachdem man sich der Leiche entledigt hatte, passe. Aber nicht nur, daß sich hier sozusagen Dichtung und Wahrheit mischten, nein, die wenigen Fakten, die er hatte, waren zu allem Übel auch noch eher merkwürdig und nur schwer zu deuten. Da war erstens die Tatsache, daß man ihn, nachdem er den Geschäftsführer der Flamenco Bar befragte hatte, dort noch eine halbe Stunde mehr oder weniger gegen seinen Willen festgehalten hatte. Warum? Da war ferner das merkwürdige Faktum, daß man ihm beim zweitenmal, als er am Cambridge Way vorsprach, schließlich doch die Tür geöffnet hatte, und drittens und letztens war da die eigenartige Begegnung mit dem eleganten Araber im grauen Maßanzug, offenbar einem wohlhabenden Bewohner des Hauses und der erstaunte, ja argwöhnische Blick, mit dem dieser sich nach ihm umgesehen hatte... Warum, warum, warum? Nun, er hatte so seine Vermutungen, und Lewis war der geeignete Zuhörer, um sie zu testen. Kaum war er wieder zurück, so begann Morse denn auch mit seinen Ausführungen.
«Ich komme jetzt zu meinem Besuch in London, genauer gesagt, zu meinem ersten Besuch. Wie Sie wissen, ging ich dort zunächst, der Spur Browne-Smiths folgend, in die Flamenco Bar. Der Geschäftsführer der Bar hat eine Frau, die sich nennt — vermutlich weil das so schön exotisch klingt. Aber das tut hier nichts zur Sache. Als er nun im Verlauf unseres Gespräches merkt, daß ich eine ganze Menge weiß — zuviel weiß — bedeutet er ihr durch eine vermutlich für solche Fälle verabredete Geste, daß Gefahr im Verzug sei. Sie ruft daraufhin sogleich (Mr. Sullivan> alias Alfred Gilbert an, der die Anweisung erteilt, man solle mich um jeden Preis eine Weile dort festhalten. Genau dies geschieht auch. Die Frage ist jetzt: warum? Offenbar doch wohl deswegen, weil es irgend etwas gibt, das noch schnell getan werden muß, bevor ich möglicherweise in Cambridge Way 29 (das heißt der Adresse, nach der ich mich erkundigt habe!) auftauche. Dazu müssen Sie nun wissen, daß die Gilberts von Browne-Smith für ihre schon ein ganz schönes Sümmchen kassiert hatten, daß aber Westerby bisher noch ungeschoren geblieben war. Und so, um ihn - ziemlich drastisch, wie ich finde — daran zu erinnern, daß er schließlich in einen Mord verwickelt und es darum angebracht sei, sich mit ihnen gut zu stellen, beschlossen Sie, den Kopf der Leiche, den sie eigentlich hätten beseitigen sollen, erst noch einmal zu benutzen — zum Zweck der Abschreckung. Sie erbrachen eine der Umzugskisten in Westerbys Apartment, die ebenfalls einen Kopf enthielt — den Kopf Jacob Burckhardts tauschten den Schädel der Leiche gegen den Marmorkopf aus und plazierten letzteren deutlich sichtbar auf dem Kaminsims. Westerby — da durften sie sich sicher sein — würde die Botschaft schon verstehen. Nun aber komme plötzlich ich ihnen dazwischen, deshalb muß das Ganze wieder rückgängig gemacht werden. Alfred begibt sich also eilig auf den Weg, um den Marmorkopf in die Kiste zurückzulegen und den Kopf der Leiche verschwinden zu lassen. Und jetzt spielt der Zufall eine verhängnisvolle Rolle. Ausgerechnet an diesem Morgen nämlich ist Westerby