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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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sich dadurch mehr Zeit und vermied lästige Fragereien. Trotzdem, so harmlos sie auch sein mochte, es blieb immer noch eine Lüge. Und das war eigentlich nicht notwendig – und schon gar nicht fair. Als sie vor mehr als zehn Jahren begonnen hatte, Medizin zu studieren, hatte sie sich da nicht geschworen, nicht so zu werden wie die anderen Ärzte und ihren Patienten immer die Wahrheit zu sagen? Wo waren sie geblieben, diese hehren Vorsätze? Sie waren nichts als Staub unter der Hobelbank des Berufslebens, weggeschliffen mit jedem Tag, an dem sie als Ärztin arbeitete. Vielleicht konnte es sie trösten, dass es allen Kollegen ebenso erging, egal, in welchem Bereich der Medizin sie tätig waren.
    Und dass die wenigsten es überhaupt jemals bemerkten. Aber es blieb nur ein schwacher Trost.
    »Lass uns in die Halle der Morgenröte zurückkehren, Tolui«, sagte sie und gelobte im Stillen Besserung – ab morgen. »Ich möchte mich selbst davon überzeugen, wie es Jiang Wu Sun geht.«

14
     
     
     
    Maffeo blickte wehmütig hinaus. Er sah Beatrice und Tolui, die langsam miteinander den Garten verließen. Li Mu Bai hatte die Schiebetüren des Meditationsraums so weit geöffnet, dass das Zimmer mit dem Garten fast eine Einheit bildete. Trotzdem war Maffeo hier, zwischen den schlanken Säulen, die dem Raum Stabilität verliehen, vor den Blicken der beiden jungen Menschen verborgen. Er konnte sie beobachten, ohne dass sie ihn sahen. Die kalte, schon fast winterliche Luft drang herein und ließ ihn frösteln. Schon bald, in wenigen Wochen, vielleicht sogar nur Tagen würde Beatrice einem Kind das Leben schenken. Es war nur gerecht, dass ein anderes Leben im Gegenzug diese Welt verlassen musste. Das war der Lauf der Dinge, das Gesetz der Natur, der Kreislauf des Lebens. Maffeo umfasste die zierliche Säule neben ihm und lehnte seine Stirn dagegen. Er spürte das kühle, glatte Holz wie eine gut gemeinte Berührung, die ihm jedoch keinen Trost spenden konnte. Der Kreislauf des Lebens… Alles schön und gut, aber warum traf es gerade ihn? Und wie viel Zeit blieb ihm noch?
    »Sieh sie dir an«, sagte Maffeo leise zu Li Mu Bai, ohne ihn anzuschauen. Der Mönch stand regungslos neben ihm wie ein Wächter. Er hatte so lange über ihn und sein Wohlergehen gewacht. Seine goldenen Nadeln und seine Kräuter hatten es sogar vermocht, Maffeo die Geschmeidigkeit seiner Gelenke wiederzugeben. Und jetzt, jetzt konnte er ihn doch nicht vor dem Unvermeidlichen schützen. »Sieh dir an, wie jung sie sind. Ihre Aufgaben, ihr ganzes Leben liegt noch vor ihnen.«
    Li Mu Bai seufzte. »Bereust du, dass du hergekommen bist?«
    Maffeo dachte eine Weile nach, dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Du hast nur Worte für das gefunden, was ich bereits gefühlt habe. Zu wissen, dass ich bald…« Er brach ab und schloss die Augen. Wieso fiel es ihm so schwer, es beim Namen zu nennen? Es änderte doch nichts an den Tatsachen. »Es gibt mir immerhin die Gelegenheit, einige wichtige Dinge noch zu regeln, die ich bislang aufgeschoben habe. Aber das Leben ist schön, trotz aller Schmerzen, die es für einen bereithält. Das war mir noch nie so bewusst wie heute.«
    Li Mu Bai starrte immer noch geradeaus in den Garten. »Der Tod, mein Freund, ist nur ein Zustand, eine andere Form des Lebens, mit dem wieder etwas Neues beginnt.«
    Maffeo sah den Mönch überrascht an. Die Worte klangen seltsam mechanisch, wie auswendig gelernt, und die gelassene Heiterkeit, die Li Mu Bai sonst zu durchdringen schien, war verschwunden. Es hatte fast den Anschein, als ob die Botschaft von seinem nahe bevorstehenden Tod den Mönch ebenso ergriff wie ihn selbst. Doch so seltsam es auch klingen mochte, gerade das spendete Maffeo Trost und gab ihm Kraft.
    »Li Mu Bai, mein Freund…«
    Der Mönch biss die Zähne zusammen. Die Muskeln an seinen Schläfen und seinem kahl geschorenen Kopf arbeiteten, als ob er einen Kampf ausfocht. »Nein!«, rief er schließlich aus. Sichtlich erregt wirbelte er zu Maffeo herum und packte ihn an beiden Armen. Seine dunklen Augen funkelten, und die Flügel seiner breiten Nase blähten sich. So hatte Maffeo den sanften, stets in sich hineinlächelnden Li Mu Bai noch nie gesehen. »Das ist nicht richtig. Wir müssen etwas unternehmen. Schnell.«
    Maffeo schüttelte den Kopf. »Du hast doch selbst gesagt, dass…«
    »Ich weiß, dein Chi, deine Lebensenergie verlöscht. Und die Kräuter, die Nadeln, die Massagen und die Moxibustion haben es nicht zum

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