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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Maffeo? Warum er? Wer würde diesen sanften, gutmütigen und hilfsbereiten Mann aus dem Weg räumen wollen? »Aber wer sollte denn so etwas tun? Wer sollte ein Interesse an deinem Tod haben?«
    »Es gibt viele, für die mein Tod eine höhere Stellung am Hof des Khans bedeuten könnte.« Maffeo zuckte mit den Schultern. »Aber das ist jetzt ohne Belang. Bitte, gib mir Wasser. Meine Kehle verdorrt.«
    Beatrice wusste nicht, was sie noch sagen sollte. Das alles klang in ihren Ohren seltsam, verrückt. Wer würde schon, nur um auf der Karriereleiter eine Sprosse höher zu klettern, einen Mord begehen? Natürlich konnte man einen unliebsamen Rivalen aus dem Weg räumen, indem man ihn vor dem Kaiser anschwärzte oder seine Leistungen herunterspielte – Mobbing war eine weit verbreitete Unart. Aber Mord? Das war doch absurd! Dann fiel ihr ein, dass sie sich weder in Europa noch im 21. Jahrhundert befand. Sie war in China, am Hof eines mongolischen Kaisers im Jahr des Herrn 1280. Für die Menschen hier waren Geburt und Tod noch so selbstverständlich, dass weder das eine noch das andere besondere Beachtung fand. Folglich war alles denkbar. Sie füllte die Trinkschale erneut und stellte den Krug diesmal neben Maffeo, damit er sich selbst bedienen konnte.
    »Aber wie kommt Li Mu Bai darauf? Woher will er wissen, dass ein Gift die Ursache ist und nicht eine rasch fortschreitende Erkrankung?«
    Maffeo schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Es hat irgendetwas mit meinem Puls und meinen Augen zu tun. Meine Lebensenergie reicht eigentlich für länger, aber jemand hat die Tür geöffnet, und der Wind bläst jetzt die Kerze aus. Oder so. Vor allem aber findet er wohl keine andere Ursache für das Erlöschen meiner Lebensenergie.«
    Beatrice runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. Li Mu Bai sagte so etwas bestimmt nicht aus einer puren Laune heraus. Wenn er eine Vergiftung vermutete, dann steckte auch etwas dahinter. Aber was? Sie kniete sich vor Maffeo auf den Boden und berührte wieder seine trockene, heiße Stirn.
    »Sieh mich an, Maffeo!«, befahl sie und drehte seinen Kopf so, dass sie ihm gerade in die Augen schauen konnte. Seine Pupillen waren so groß, dass sie beinahe die ganze Iris ausfüllten. Sie hielt ihre Hand hoch. »Wie viele Finger sind das?«
    »Ich weiß es nicht. Ich sehe alles nur verschwommen«, sagte er kläglich. »Mein Mund ist so trocken.«
    Beatrice konnte deutlich hören, wie die Zunge an Maffeos Gaumen klebte. Mydriasis und trockene Haut – woran erinnerte sie das?
    »Oh, sieh nur, Beatrice!«, rief Maffeo aus. Er richtete sich ein wenig auf und deutete zum Fenster. »Sieh nur, die Sterne beginnen zu tanzen. Wie schön! Sie tanzen um einen Drachen herum. Er will uns den Frühling bringen. Siehst du auch die herrlichen Blumen? Wie sie duften!«
    Halluzinationen. Wahrscheinlich hatte Li Mu Bai mit seiner Vermutung doch Recht. Maffeo hatte eine Vergiftung.
    »Maffeo, hast du etwas Ungewöhnliches gegessen? Hat dich ein Tier gebissen oder gestochen, oder hatte eine Speise oder ein Getränk einen unangenehmen Geschmack? Maffeo?«
    Doch er hörte sie nicht mehr. Er saß kerzengerade auf seinem Stuhl und unterhielt sich, unterstrichen von lebhaften Gesten, mit einer unsichtbaren Gestalt auf Italienisch.
    Beatrice wanderte im Raum auf und ab und dachte angestrengt nach. Heiße, trockene Haut, Fieber, Tachykardie, Mydriasis, Akkomodationsstörungen, Halluzinationen. Eines nach dem anderen zählte sie noch mal alle Symptome auf, die sie bei Maffeo gefunden hatte.
    Aber welche Substanz war die Ursache? Zum ersten Mal verwünschte sie ihr mangelndes pharmakologisches Wissen. Dieses Fach hatte sie nie besonders interessiert, weder im Studium noch später im Beruf. Die wenigen für Chirurgen relevanten Medikamente – wie Schmerzmittel, Betäubungsmittel und Antibiotika – waren ihr schnell geläufig, und für alle anderen gab es schließlich die Internisten. Und was die Toxikologie betraf, so kannte sie zwar die Wirkungen von Opiaten, Benzodiazepinen und allen gängigen synthetischen Drogen, eine zwangsläufige Begleiterscheinung, wenn man auf der Notaufnahme eines Krankenhauses inmitten der Hamburger Drogenszene arbeitet. Aber Maffeos Symptome passten zu keiner einzigen davon.
    Denk nach, Bea, denk nach, ermahnte sie sich und rieb sich die Schläfe, als könnte das ihrem Gehirn auf die Sprünge helfen.
    Sie befand sich im Mittelalter. Also konnte sie getrost alle synthetischen Substanzen vergessen.

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