Das Rätsel der Fatima
Herz des Khan vergifteten?
»Wie kommst du auf diesen Gedanken?«, fragte er.
Khubilai lachte. »O Dschinkim, du bist unverbesserlich. Sogar deinem eigenen Bruder misstraust du. Dabei brauchst du kein Wort zu sagen, es steht deutlich und für jeden sichtbar auf deiner Stirn geschrieben.« Khubilai seufzte. »Du hast eine tiefe Abneigung gegen die Stadt.«
»Du weißt, ich habe deinem Plan nie Steine in den Weg gelegt«, entgegnete Dschinkim. Er fühlte sich wie ein Mann, der über einen zugefrorenen See ritt und nicht wusste, ob das Eis ihn und sein Pferd wirklich tragen konnte.
»Du hast aber auch nie einen Hehl aus deiner Meinung gemacht«, erwiderte Khubilai. Dann sah er nachdenklich in die Ferne zu den schimmernden Dächern der Stadt. »Bin ich in deinen Augen wirklich so ein Narr? Bin ich töricht, nur weil ich Taitu zur Hauptstadt unseres Reiches ernannt habe?«
»Nein, du bist kein Narr, nur weltfremd.« Dschinkim atmete tief ein. Ihm war nicht wohl dabei, seinem Bruder so was zu sagen. Aber sollte er denn lügen? »Du willst mehr für die Menschen in diesem Reich, als sie bereit sind anzunehmen. Weder die Mongolen noch die Chinesen wollen die Einheit beider Völker wirklich. Und der Umzug nach Taitu…« Er schüttelte den Kopf. »Wir werden uns hier fühlen wie unerwünschte Fremde, wie lästige Eindringlinge. Außerdem fürchte ich, dass die Götter uns zürnen und uns verlassen werden.«
»Mein geliebter Bruder«, sagte Khubilai und legte Dschinkim eine Hand auf den Arm, »ich danke dir für deine Aufrichtigkeit. Ich weiß, die Sorge um unser Reich, unsere Sippe – und natürlich auch um mich – lässt dich misstrauisch und vorsichtig sein. Ich mache dir daraus keinen Vorwurf. Im Gegenteil, ich brauche dich und deine Skepsis, deinen Argwohn meinen Plänen und meinen Untertanen gegenüber, deine Ehrlichkeit. Du bist der einzige Mann an meinem Hof, bei dem ich sicher sein kann, dass er mir die Wahrheit sagt, dass Wort und Gedanken übereinstimmen. Deine Zweifel, deine Einwände lassen mich meine Pläne immer wieder überdenken, prüfen und verbessern. Aber was Taitu angeht, so irrst du dich. Es ist unsere Stadt. Wir haben sie gebaut, wir werden hier leben und herrschen. Dass die Häuser nicht mehr den Jurten unserer Großväter ähneln…« Er zuckte mit den Schultern. »Das Rad des Lebens dreht sich weiter. Alles verändert sich. Selbst Berge wandeln ihr Aussehen, und Flüsse ändern ihren Lauf. So auch das Aussehen und die Lebensumstände unseres Volkes. Aber unsere Seele wird sich nicht ändern. In unseren Herzen werden wir immer Jäger und Reiter bleiben. Und darum bin ich sicher, dass die Götter uns nicht verlassen werden. Bedenke, dass sie sich auch nie von unserem Großvater abgewendet haben, nicht einmal, als er das Land unserer Ahnen hinter sich gelassen und weit nach Westen vorgestoßen war.«
»Vielleicht hast du recht«, entgegnete Dschinkim leise. »Ich hoffe es. Ich hoffe es von ganzem Herzen. Und dennoch…«
»Dschinkim«, Khubilai legte ihm eine Hand auf die Schulter, »manchmal mache ich mir Sorgen um dich. Du bist ein Mann in der Blüte seiner Jahre, viel zu jung für so viel Schwermut. Hör auf meinen Rat, überlass die Sorgen den hundertjährigen Greisen, die ihr Leben bereits genossen haben. Such dir endlich ein Weib. Ein Mann braucht eine Frau, um seine Jurte mit ihr zu teilen und Söhne und Töchter zu zeugen. Erst dann hat das Leben Sinn.«
Dschinkim biss die Zähne zusammen und schluckte. Natürlich, eine Frau. Wenn Khubilai wüsste…
Er hatte eine Frau gehabt, einst, vor vielen Jahren. Sie war ein wunderbares Weib, schön, klug und stark. Und die Götter hatten sie mit einem Lachen gesegnet, das sogar Gewitterwolken vom Himmel vertreiben konnte. Er hätte ihr alles gegeben, für sie wäre er sogar gestorben. Alles hatte er mit ihr geteilt. Alles, nur nicht die Jurte. Denn obwohl sie sich liebten, wie ein Mann und eine Frau sich nur lieben können, so war es doch eine verbotene Liebe. Denn diese Frau hatte bereits Khubilai gehört. Wenn sie noch wie ihre Ahnen jagend durch die Steppe gezogen wären, hätte er es gewagt, seinem Bruder diese Liebe zu beichten. Er hätte sie gegen Pferde ausgelöst oder um sie gekämpft. Doch sie lebten nicht mehr wie ihre Vorväter. Khubilai war der Khan. Und dem Khan nahm man keine Frau weg. Deshalb hatten sie sich heimlich getroffen, Tag für Tag. Dschinkim fühlte sich dabei wie ein Dieb, ein Dieb, der die Liebe einer Frau stahl. Mehr
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