Das Rätsel der Fatima
als ein Jahr lang taumelte er wie ein Betrunkener zwischen unendlichem Glück und der Last seines Gewissens hin und her, bis sie schließlich bei der Geburt ihres ersten Kindes starb. Der Schmerz um diesen Verlust hatte ihn fast verrückt gemacht. Es war ihm nicht einmal erlaubt, offen um sie zu trauern. Und während Khubilai sich bereits mit anderen, neuen Frauen getröstet hatte, hatte er darüber nachgedacht, ob er ihr in den Tod folgen sollte.
In all den Jahren, die mittlerweile vergangen waren, hatte der Treuebruch an seinem Bruder Dschinkim bis in seine Träume verfolgt. Immer wieder hatte er sich gefragt, ob Khubilai etwas wusste. Und ob er sich nicht doch hätte erweichen lassen, wenn er ehrlich zu ihm gewesen wäre. Seit damals hatte er nie wieder eine Frau berührt. Er hatte keinen Schwur geleistet. Und doch war es wie ein Gelübde, eine stumme Abmachung zwischen ihm und den Göttern, um für seinen Frevel und seine Feigheit zu sühnen. Umso verwirrender war es für ihn, dass in der letzten Zeit immer wieder ein Gesicht in seinen Träumen auftauchte. Ein wunderschönes Gesicht, umrahmt von goldenem Haar mit Augen in der Farbe des Himmels. Es war das Gesicht einer starken, einer unabhängigen Frau. Und manchmal, wenn er aus seinen Träumen erwachte, ertappte er sich bei dem Wunsch, seine Hände durch dieses Haar gleiten zu lassen. Vielleicht hatte Khubilai recht. Vielleicht sollte er sich wirklich eine Frau nehmen. Aber diese Frau gehörte ebenfalls schon einem anderen. Und er wollte den gleichen Fehler nicht zum zweiten Mal begehen.
»Taitu liegt direkt vor uns«, sagte Dschinkim und nahm die Zügel wieder in die Hand. »Wenn wir uns beeilen, sind wir in weniger als einer Stunde dort.«
Und ohne seinen Bruder noch weiter zu beachten, trat er seinem Pferd in die Flanken und ritt den Hügel hinunter.
Nur wenige hundert Meter von den Toren entfernt, machten sie eine Stunde Rast. Beatrice, die sich darüber wunderte, weshalb sie so kurz vor dem Ziel stehen blieben, wurde von Marco aufgeklärt.
»Khubilai kann nicht wie ein abgerissener Pferdehirte in seine Hauptstadt einziehen. Das würde sein Volk niemals akzeptieren. Deshalb wird er seine Kleidung wechseln und eine Sänfte besteigen, wie es sich für den großen Khan geziemt.«
Und dann war es endlich so weit, die Karawane setzte sich wieder in Bewegung, Innerhalb kurzer Zeit erreichten sie Taitu.
Das riesige rot bemalte Tor war weit und einladend geöffnet. Unzählige rote Wimpel schmückten die Wehrmauern und flatterten lustig im Wind. Etwa ein Dutzend Männer in den steifen Roben der kaiserlichen Hofbeamten traten vor das Tor und kamen dem kaiserlichen Zug entgegen. Vor Khubilais Sänfte blieben sie stehen, knieten sich auf der staubigen Straße nieder und verneigten sich, bis ihre Stirnen den Boden berührten. Als sie sich wieder erhoben, kamen Tänzer und Musiker. Als rote und goldene Drachen verkleidet, tanzten sie zur schrillen Musik der Flöten und zum scheppernden Klang der Becken vor dem Kaiser her. Langsam, unendlich langsam, Zentimeter für Zentimeter schob sich das kaiserliche Gefolge in den Straßen Taitus vorwärts. Tausende von Menschen säumten ihren Weg, jubelten und kreischten, warfen Blumen und Reis auf die Vorüberziehenden. Die Nachfolgenden schoben und drängten von hinten, und doch ging es kaum vorwärts. Der Lärm war ohrenbetäubend, es war stickig, und Menschen und Tiere wurden immer nervöser. Die Fuchsstute legte ihre Ohren an und begann unruhig zu tänzeln. Trotz der Kälte begann Beatrice zu schwitzen. Sie hatte es aufgegeben, den Reis und die Blumen von ihrer Kleidung zu fegen. Sie blieben auf ihrer Mütze, ihren Handschuhen, ihren Armen, Beinen und ihrem Schoß liegen und deckten sie immer mehr zu. Den anderen erging es kaum besser.
Maffeo, der direkt vor ihr ritt, hatte mittlerweile sogar eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Blumenfiguren auf der Insel Mainau.
Endlich kam der kaiserliche Palast in Sichtweite. Beatrice konnte kaum glauben, dass sie für den knappen Kilometer vom Tor bis hierher wirklich mehr als eine Stunde gebraucht hatten. Sehnsüchtig wünschte sie sich die Ruhe ihres Gemachs herbei – frische Kleidung, ein Bett, vielleicht eine Schale Tee. Aber vor allem Stille.
Sie hatten kaum die Tore des kaiserlichen Palastes hinter sich gelassen, als Beatrices Wunsch in Erfüllung ging. Mit einem Schlag verstummte der Lärm, und der ewige Blumen- und Reisregen hörte endlich auf. Es war ruhig. Nur noch
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