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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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nehmen – zur Not mit Opium.
    Aber die Chinesen warten auf deine Antwort. Du musst ihnen irgendetwas präsentieren, und wenn es nur eine Verdachtsdiagnose wäre, ermahnte Beatrice sich und fing an, den Bauch mit den Fingern abzuklopfen, um herauszubringen, ob sich Luft oder Flüssigkeit darin befand.
    Sofort begann der Mann zu schreien und sich zu winden. Er stieß ihre Hand weg, bäumte sich mit letzter Kraft auf und schrie ihr etwas ins Gesicht, so dass sie erschrocken zurückwich. Die chinesischen Ärzte runzelten kollektiv die Stirn.
    »Nun?«, fragte Lo Han Chen, und Beatrice glaubte in seinen dunklen Augen so etwas wie boshafte Freude flackern zu sehen. »Was sagst du?«
    Eine scharfe Antwort lag ihr auf der Zunge, aber sie riss sich zusammen. Es hat keinen Zweck, ermahnte sie sich. Du kannst alles höchstens schlimmer machen.
    »Die Krankheit kann viele Ursachen haben. Um in der Lage zu sein, das zu beurteilen, müsste ich mehr wissen.« Dann sah sie auf den alten Mann hinab, der jetzt auf der Seite lag und immer noch leise wimmerte. »Er wird bald sterben.«
    »Wirklich?«, erwiderte Lo Han Chen und hob spöttisch eine Augenbraue. »Das wissen wir. Aber wir lehren unsere Ärzte, Sterbende nicht noch zusätzlich zu quälen.«
    Dann flüsterte er einem der anderen Ärzte etwas ins Ohr, schüttelte den Kopf und nickte einem der jüngeren Kollegen zu. Sofort eilte dieser zum Bett des alten Mannes, setzte ihm Akupunkturnadeln, und bereits nach wenigen Augenblicken hörte der Kranke auf zu wimmern.
    Treffer, versenkt, dachte Beatrice und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Warum nur hatte sie sich nicht wie sonst auf ihre Intuition verlassen? Statt an den Patienten zu denken, hatte sie vor den Chinesen mit ihrem fortschrittlichen Wissen glänzen wollen – und war mitten in die vorbereitete Falle getappt. Sie spürte, wie sie scharlachrot anlief. Den ersten Teil der Prüfung hatte sie gründlich versiebt.
    »Lasst uns weitergehen.«
    Sie gingen von Bett zu Bett, und Beatrice wurde immer nervöser und unsicherer. Unter den aufmerksamen Blicken der anderen Ärzte sollte sie offensichtlich nicht nur Diagnosen stellen und Therapien vorschlagen, sondern auch »richtig« mit den Patienten umgehen. Aber wie sollte sie mit Menschen »richtig« umgehen, die ihre Sprache nicht verstanden und sie nur mit den großen, traurigen und geduldigen Augen von Schlachtvieh ansahen? An jedem Bett tappte sie erneut völlig im Dunkeln. Sie tastete Bäuche ab, prüfte Reflexe, fühlte den Pulsschlag. Aber was half das alles, wenn ihr das wichtigste Instrument des Arztes – die Sprache – nicht zur Verfügung stand und keiner der anderen Ärzte bereit war, ihr etwas zur Vorgeschichte und zu den Symptomen zu erzählen? Wie sollte sie herausfinden, was diesen bedauernswerten Menschen fehlte?
    Die Blicke, mit denen die anderen Ärzte sie betrachteten, wurden von Bett zu Bett verachtungsvoller. Und obwohl sie ihre Gespräche nicht verstand, war sie sicher, dass sie sich über ihre »Medizin« lustig machten. Zu Recht. Es war eine unendlich peinliche Vorstellung, die sie hier gab. Und das Wissen darum machte die ganze Angelegenheit auch nicht besser.
    Als sie endlich den Spießrutenlauf durch die ganze Halle beendet hatte, war sie schweißgebadet, obwohl sie vor Kälte fast mit den Zähnen klapperte. Sie kam sich vor wie eine Studentin im ersten Semester.
    »Nun kannst du gehen«, sagte Lo Han Chen und gab sich diesmal noch nicht einmal mehr die Mühe, sich zu verneigen.
    »Wir werden uns beraten und sehen, was du uns lehren kannst.«
    Als sie endlich draußen vor der Tür stand, lehnte sich Beatrice gegen die Wand. Lo Han Chen hatte sie fortgeschickt wie eine Dienstmagd. Aber sie war nicht mehr in der Lage, sich darüber aufzuregen. Sie war müde und erschöpft. Sie war fast auf Knien durch die ganze Halle gerutscht, und nun taten ihre Beine und ihr Rücken weh. Sie war den Tränen nahe – Tränen der Wut, der Scham und der Enttäuschung. Seit ihrem Studium hatte sie sich nicht mehr so gedemütigt gefühlt. Jetzt war sie mit ihrer Kraft am Ende und bekam zu allem Übel auch noch Kopfschmerzen.
    »O mein Gott, war das furchtbar!«, sagte sie und rieb sich ihre Schläfen. Die Berührung ihrer eisigen tauben Finger ließ sie vor Schreck zusammenzucken. »Ich glaube, ich habe alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann.«
    »Unsinn!«, widersprach Dschinkim überraschend heftig. »Es lag nicht an dir. Diese Kerle haben dir

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