Das Rätsel der Fatima
Wieder spürte sie lediglich den warmen Hauch seines Atems auf ihrem Handrücken. Doch diesmal gab es dabei einen seltsamen zischenden Laut, der sie irritierte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Beatrice begriff, dass nicht Marco, sondern Dschinkim diesen Laut ausgestoßen hatte.
Vermutlich, weil er immer noch nicht begrüßt worden ist, dachte Beatrice. Es war eine weitere Zurückweisung für den Bruder des Kaisers an einem insgesamt nicht besonders erfreulichen Tag.
»Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen«, fuhr Marco fort und bedachte Beatrice mit einem Lächeln, das man mit gutem Gewissen als unwiderstehlich bezeichnen konnte. Wenigstens beinahe, denn der wohlige Schauer, der bisher jedes Mal ihren Puls beschleunigt hatte, blieb diesmal aus. »Würdet Ihr mir erneut die Ehre erweisen, mit mir zu speisen?«
Das war ein verlockendes Angebot. Immer noch dachte sie gern an den amüsanten Nachmittag zurück, den sie in Shangdou mit Marco verbracht hatte. Doch dann fiel ihr Blick auf das Tuch, das Marco fallen gelassen hatte. Beatrice erstarrte, als sie erkannte, dass es sich um jenes Tuch handelte, das er gestern mit solcher Inbrunst und Freude von der Tochter des Khans entgegengenommen hatte. Sie sah Marco wieder an. Plötzlich kam ihr sein Lächeln falsch und aufgesetzt vor. Und in seinen Augen schien es hinterlistig zu funkeln.
»Erinnert Ihr Euch noch, wie viel Vergnügen wir an jenem Tage hatten?«
Beatrice wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken. Was Maffeo bei dieser zweideutigen Bemerkung dachte, konnte sie sich gut vorstellen. Und Dschinkim…
»Selbstverständlich erinnere ich mich an unsere nette Unterhaltung«, sagte sie und entzog Marco ihre Hand. Zu ihrer eigenen Überraschung gelang es ihr diesmal ganz leicht. »Dennoch, es tut mir unendlich leid, aber ich kann heute nicht mit Euch speisen. Ich habe einen anstrengenden Tag im Haus der Heilung hinter mir, und der weise Li Mu Bai hat mir Ruhe verordnet. Es geht um das Wohl meines ungeborenen Kindes. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als um Euer Verständnis zu bitten. Doch ich bin sicher, es wird Euch nicht schwer fallen, andere anregende Gesellschaft zu finden.«
Für den Bruchteil einer Sekunde verengten sich Marcos Augen zu schmalen Schlitzen, und sein Lächeln wirkte ein wenig verkniffen. Von einer Frau einen Korb zu erhalten war offensichtlich eine ganz neue Erfahrung für ihn.
»Natürlich liegt mir Euer Wohlergehen am Herzen«, erwiderte er schließlich und versuchte es erneut mit der Wirkung seines Lächelns. »Also werde ich mich zurückziehen und auf eine andere Gelegenheit hoffen. Zum Beispiel auf morgen.«
Er lächelte so herausfordernd, dass Beatrice fast schlecht wurde. Wie hatte sie jemals auch nur einen Gedanken an diesen Kerl verschwenden können.
»Auch das kann ich Euch leider nicht versprechen«, erwiderte sie kühl. Seltsam, sein Charme, der ihr noch gestern Abend die Knie weich werden ließ, schien heute überhaupt keine Macht mehr über sie zu haben. Woran das wohl liegen mochte? »Khubilai Khan hat verfügt, dass ich in den kommenden Tagen regelmäßig den anderen Ärzten im Haus der Heilung zur Hand gehen soll. Ich vermute, dass ich viel zu tun haben werde und mir wenig Zeit für Vergnügen und Zerstreuung bleiben wird. Leider.«
Doch wenn Beatrice geglaubt hatte, dass Marco jetzt voll verletzter Eitelkeit von ihr ablassen würde, hatte sie sich getäuscht. Der junge Venezianer wurde nicht wütend. Im Gegenteil. Nachdem er seinen ersten Schock über ihre Zurückweisung verdaut hatte, schien er plötzlich Gefallen an diesem für ihn neuen Spiel zu finden. Sein Lächeln gewann an Selbstbewusstsein zurück.
»Ja, sehr bedauerlich. Ich wünsche Euch eine angenehme Ruhe, Beatrice. Erholt Euch von den Strapazen. Doch nehmt diesen Ring als Geschenk von mir, als Zeichen meiner Hochachtung und Verehrung für Euch.« Er zog einen Ring von einem seiner Finger und drückte ihn Beatrice in die Hand, wobei er wie zufällig ihre Finger streichelte. »Sobald Ihr Euch wieder kräftig genug fühlt, um Besuch zu empfangen – und Eure vielfältigen Aufgaben dies zulassen –, sendet mir durch einen Boten diesen Ring. Dann werde ich mit Freuden zu Euch eilen. Ich wohne ja nicht weit entfernt. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.«
Er verbeugte sich galant und ging mit schnellen Schritten von dannen. Alle drei sahen Marco hinterher, und Beatrice glaubte sowohl Maffeo als auch Dschinkim vor Erleichterung aufatmen zu hören.
»Der
Weitere Kostenlose Bücher