Das Rätsel der Rückkehr - Roman
charakterlichen Ähnlichkeiten, und alle wollen, dass ich sie wiedererkenne. Jeder kommt her und erzählt eine Geschichte, in der ich vorkomme. Einer will einmal vor vierzig Jahren mit mir zusammen im Kino gewesen sein. Ein anderer behauptet, ich war der beste Freund seines ältesten Bruders. Wieder ein anderer, ich müsste ganz bestimmt seinen Vetter kennen, der in Montréal lebt. Es dreht sich alles in meinem Kopf. Manchmal ordne ich eine Stimme einem Gesicht zu, das nicht dazu gehört. Ich brauche eine Weile, um zu verstehen, dass sie mit ihrem Drang, wiedererkannt zu werden, nur die Bestätigung suchen, noch nicht tot zu sein.
Ich blätterte schon seit einer Weile
auf dem Sofa in der Zeitung,
bis ich seinen Schatten bemerkte,
der hinter der Schranke auf und ab ging.
Ich wage mich nicht mehr hinaus.
Durch das Fenster des Romans
Die Hotelbesitzerin weist mich darauf hin, dass alle Informationen in der Tageszeitung mindestens eine Woche alt sind. Für die aktuellen Nachrichten sollte man sich lieber an das Radio halten. Wo doch die Schnelligkeit, mit der sich eine Information verbreitet, inzwischen wichtiger geworden ist, als die Information selbst. Die Verspätung dient als Puffer zwischen der Nachricht und uns. Wir werden vor schlechten Nachrichten geschützt, da sie erst mit ein paar Tagen Verspätung eintreffen. Wenn sie uns endlich erreichen, wurde die Schockwelle schon zu einem großen Teil von einer dichten schwitzenden Menge aufgefangen. Diese paar Tage genügen als Puffer, um uns im Gleichgewicht zu halten.
Die Neuigkeit der Woche betrifft die reichen Viertel und die
Cité Soleil
gleichermaßen. Das ist selten. Ein junger Mann „aus guter Familie“, der vor ein paar Monaten gekidnappt wurde, ist inzwischen der skrupellose Anführer von einer der Gangs im Land. Der Anwalt der Familie hat im Radio erklärt, „um in Zukunft nicht mehr entführt zu werden, ist er selbst zum Entführer geworden.“ In den Armenvierteln lacht man heute noch darüber, dass der Sprecher in seinem Kommentar auf das „Stockholm-Syndrom“ hinwies. Die Antwort stand prompt in Graffiti an allen Wänden von
Cité Soleil
: Wenn ein von einer Gang entführtes reiches Söhnchen nach zwei Wochen durch das Stockholm-Syndrom selbst zum Kidnapper wird, warum ist dann ein Krimineller, der Jahre im Gefängnis sitzt, bei seiner Entlassung kein Polizist?
Zugleich erfahren wir, dass die meisten Entführungen unter Leuten passieren, die sich gut kennen oder sogar zur gleichen Familie gehören. Wo der Hass schon lange brodelt. Wo man die Summen auf den Bankkonten der Opfer genau kennt. Übrigens sind die Lösegeldforderungen sehr präzise und es wird immer weniger verhandelt. Kidnapping bringt so viel ein, dass die Reichen sich das Geschäft nicht lange entgehen ließen. Im Unterschied zu den Fotos der anderen Ganoven, die ihn begleiten, hat man sich Mühe gegeben, das Bild des Bürgersohns unkenntlich zu machen.
Seit die Regierung nicht mehr über das Mittel verfügt, aufmüpfige Journalisten einfach ins Gefängnis zu werfen, haben es die reichen Bürger übernommen, sie zu kaufen, und zwar meist billig. Den verkommenen Journalisten kauft man mit Geld. Den armen, aber ehrlichen Journalisten kauft man mit Anerkennung. Den geilen Journalisten kauft man, indem man ihn den feinen Duft eines sehr jungen Mädchens riechen lässt, das sich bei einem Empfang in der guten Gesellschaft über ihn beugt.
Eben erst entdecke ich die kleine Verkäuferin,
die mich jeden Morgen weckt.
Ihre schrille Stimme übertönt alle anderen.
Ich höre sie noch am Abend, wenn ich wieder komme.
Der Zeitungsverkäufer vor dem Hotel versucht mir, ein Exemplar zum Preis eines Monatsabos zu verkaufen. Obwohl ich ihm mein Foto in der Tagesausgabe zeige. Ohne mit der Wimper zu zucken, verlangt er wieder den unverschämten Preis. Ich entreiße ihm die Zeitung und drücke ihm 15 Gourdes in die Hand. Das ist der Preis für Leute, die in Gourdes leben, protestiert er. Woher wissen Sie, dass ich nicht von hier bin? Sie wohnen im Hotel. Das ist meine Sache. Für mich sind Sie ein Ausländer wie alle anderen. Wieviel verlangen Sie von denen, die in den Luxuskarossen fahren? Er geht grummelnd weg. Zum Glück lesen die Zeitungsverkäufer nur die großen Überschriften, sonst bekämen wir es mit einer fünften Gewalt zu tun.
Dieser banale Vorfall
lässt mich humpeln,
als hätte ich
ein Steinchen im Herz.
Ausländer zu sein, selbst in seiner Heimatstadt.
Wir sind nicht
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