Das Rätsel der Rückkehr - Roman
viele,
die sich mit diesem Status brüsten können.
Aber diese kleine Gruppe
wächst allmählich.
Irgendwann werden wir die Mehrheit stellen.
Während ich die kleine Steigung hinaufgehe,
die zur Place Saint-Pierre führt,
denke ich plötzlich an Montréal,
wie ich an Port-au-Prince denke,
wenn ich in Montréal bin.
Wir denken an das, was uns fehlt.
Zufällig betrat ich die neue Buchhandlung
La Pléiade
. Ich kannte sie Ende der Sechziger Jahre, als sie dem alten Lafontant gehörte. Der saß immer an der Eingangstür. Er war ein freundlicher Mann, trotz seiner buschigen Augenbrauen, die ihn mürrisch aussehen ließen. Er sprach nicht viel. Wir gingen direkt nach hinten in den Laden und holten uns die Bücher, die uns interessierten - nie mehr als jeder eines. Wir nahmen immer die aus dem berühmten Maspero-Verlag, der stand auf dem Index der Mächtigen, so groß war deren Verfolgungswahn. Der alte Lafontant ging täglich ein Risiko ein, indem er noch einiges anbot außer den Krimis und den nichtssagenden Zeitschriften, die auf dem Tisch am Eingang lagen. Wir berechneten den Preis und legten im Vorbeigehen an der Kasse das Geld abgezählt hin. Ohne uns umzusehen, gingen wir zum Ausgang weiter. Die gesamte Operation musste wie geschmiert ablaufen. Wir übten sie zu Hause ein.
Danach trafen wir uns,
meine Kameraden und ich,
in unserem kleinen Restaurant
gegenüber der Place Saint-Alexandre,
jeder mit dem soeben gekauften Buch.
Wir legten alle auf den Tisch.
Dann zogen wir das Los, wer welches Buch lesen sollte.
Mit zwanzig waren wir so ernst,
dass ein Mädchen mich fast vergewaltigen musste,
damit ich verstand,
was um mich herum geschah.
Die Mädchen, die im Radio die Rolling Stones hörten,
waren schon bei der sexuellen Revolution,
als wir noch
Das neue China
lasen.
Wir suchten verzweifelt
in den Reden unseres Idols Tschu En Lai,
des strengen und eleganten Parteistrategen,
das Parfüm einer Frau,
ein weibliches Bein
oder einen flaumigen Nacken,
etwas, das uns zu erotischen
Träumen verführte.
Da schaute ich mich um und entdeckte, dass wir nur eine ganz kleine Gruppe waren, die die Revolution in unseren Köpfen machen wollten, denn uns genügte, die politischen Schriften zu kommentieren, die wir beim alten Lafontant kauften. Die übrigen lebten sorglos dahin und es ging ihnen nicht schlechter. Ich war reif für meine ersten intellektuellen Ferien. Schon fühlte ich mich zu den Typen hingezogen, die ich zuvor so verachtet hatte. Die nur an Klamotten dachten, sich parfümierten oder wussten, wie man zu der Musik der
Platters
Slowfox tanzt. Die nie ein Buch aufgeschlagen hatten, und denen es trotzdem gut ging. Die sich vor allem nicht für die Herzen der unerreichbaren Prinzessinnen interessierten, von denen wir träumten, sondern nur für ihre dünnen biegsamen Körper in den Ausgehkleidchen am Samstagabend. Die Typen, in deren Armen die Mädchen, die uns nie beachteten, schwach wurden. Deren blutverschmierte Gesichter auf der Titelseite der Zeitung (ihr Ende war stets ein tödlicher Unfall mit einem Sportwagen) im Lycée der Mädchen mehr Gesprächsstoff lieferten als der neueste Gedichtband von Davertige.
Der alte Lafontant hat die Buchhandlung seinen zwei Töchtern vererbt (Monique und Solanges), die sie zweigeteilt haben. Ein Buchladen in Port-au-Prince, etwas größer, einer in Pétionville. Ich unterhalte mich kurz mit Monique, die den Laden in Pétionville führt. Sie zeigt mir ein junges Mädchen, das gerade in einem meiner Romane blättert. Ich schaue gebannt auf ihren Nacken (der Nacken zeigt viel von einer Leserin). Ich gehe in den Hof unter den Baum, damit sie sich nicht geniert, falls sie sich umdreht und mich erkennt. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal in der
Pléiade
in der Position des Schriftstellers befinden würde.
Während ich in diesem Universum herumlaufe (die Stadt, die Leute, die Dinge), das ich so oft beschrieb, habe ich nicht mehr den Eindruck ein Autor zu sein, sondern ein Baum in seinem Wald. Mir wird bewusst, dass ich die Bücher nicht verfasst habe, um eine Landschaft zu beschreiben, sondern um weiter Teil von ihr zu sein. Aus diesem Grund hat die Bemerkung des Zeitungsverkäufers mich tief getroffen. In Port-au-Prince zu Beginn der Siebziger Jahre war ich Journalist, weil man die Diktatur anprangern musste. Ich gehörte zu den wenigen, die dem Regime die Zähne zeigten. Ich stellte mir über mich selbst keine Fragen, bis zu jener sexuellen Krise
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