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Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Titel: Das Rätsel der Rückkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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ganz zum Schluss. Erst als ich in Montréal lebte, fand ich zu meiner Individualität. Bei minus 30 Grad wird man sich sofort seines Körpers bewusst. In der Hitze von Port-au-Prince entflammt sich leicht die Phantasie. Der Diktator hatte mich vor die Tür meines Landes gesetzt. Um dorthin zurückzukehren, bin ich durch das Fenster des Romans gestiegen.

Der rote Jeep
    Die Menge drängt mich auf die Straße.
    Die Autos streifen mich.
    Ich triefe vor Schweiß.
    Neben mir hält plötzlich ein roter Jeep.
    Die Tür geht auf.
    Ich steige ein.
    Augenblicklich bin ich nicht mehr ein gejagtes Wild.
    Mein Freund fährt durch die Menge.
    Er entdeckte heute Morgen mein Foto in der Zeitung.
    Er hat beim
Nouvelliste
angerufen und bei Freunden,
    um zu erfahren, in welchem Hotel ich wohne.
    Keiner wusste Bescheid.
    Doch jetzt sitze ich wie zufällig in seinem Auto.
    Er telefoniert gleich mit seiner Frau.
    Isst du mit uns?
    Ich nicke.
    Im roten Jeep mit blitzend neuen Rädern.
    Laute Musik.
    Wir reden über sie hinweg.
    Am Berghang streift
    ein kleines gelbes Flugzeug fast die Bäume.
    Der Flieger steckt den Kopf heraus,
    um einen jungen Mann zu grüßen, der tanzend sein Hemd auszieht.
    Meine Kindheit ist mit einem Schlag zurück.
    Ich finde die Unbeschwertheit meines Freundes wieder.
    Hier, sagt er, musst du intensiv leben,
    denn jeden Moment kann es vorbei sein.
    Die Leute, die im Geld schwimmen,
    reden am leichtesten vom Tod.
    Die andern tun nichts, als auf ihn zu warten,
    der übrigens nicht lange ausbleibt.
    Die Frauen steigen eine hinter der anderen herab.
    Entlang der Klippen.
    Berge von Früchten auf dem Kopf.
    Gerader Rücken.
    Ihr Nacken schweißnass.
    In der Anstrengung anmutig.
    Ein Lastwagen hat eine Panne
    auf der engen Straße von Kenscoff.
    Die Frauen müssen aussteigen.
    Ihre Waren liegen schon am Boden.
    Die Männer schieben den Laster
    an den Straßenrand.
    Ein schwerer Gesang hebt an.
    Die Stimmen der Männer bei der Arbeit.
    Je höher wir kommen, desto weniger Leute.
    Das kleine bunte Haus
    am Bergrücken
    vom Morgennebel verhüllt.
    Mich dort hinsetzen und einfach schreiben,
    meinen dicken fünfbändigen historischen Roman.
    Mich für den alten Tolstoi halten.
    Die rote Erde produziert diese schönen Zwiebeln.
    Die Händlerinnen heben uns ihre Ware entgegen.
    Mein Freund lässt die Scheibe herunter,
    kauft Karotten und Zwiebeln.
    Mir wird schwindelig vom Geruch der fetten Erde.
    Stimmen der Bauern,
    am Bach entlang.
    Barfuß im Wasser.
    Strohhüte.
    Jeder einen Kampfhahn unterm Arm.
    Und eine Flasche Schnaps
    in der Gesäßtasche.
    Sie begeben sich einer hinter dem anderen
    zum sonntäglichen Wettkampf.
    Ein Hund sucht einen sonnigen Platz,
    lässt sich schließlich an der Mauer nieder.
    Mit nasser Schnauze.
    Halbgeschlossenen Lidern.
    Die Zeit für den Mittagsschlaf kommt früh.
    Hier wächst alles.
    Auch was keiner gepflanzt hat.
    Die Erde ist gut.
    Der Wind sät aus.
    Warum versammeln sich die Leute dort,
    wo es nach Diesel und Kacke stinkt?
    Dort, wo es immer zu heiß ist?
    Im größten Dreck?
    Auch wenn sie die Schönheit bewundern,
    ziehen manche es vor, in der Hässlichkeit zu leben,
    die oft reicher an Kontrasten ist.
    Ich kann nicht atmen
    in zu reiner Luft.
    In zu grüner Landschaft.
    Bei zu leichtem Leben.
    Ich habe einen scharfen urbanen Instinkt.
    Auf der anderen Seite der Klippe
    wendet ein Pferd sich langsam mir zu
    und schenkt mir einen langen Blick.
    Selbst die Tiere scheinen mich wiederzuerkennen.
    Vielleicht bedeutet das Heimat:
    Du glaubst alle zu kennen
    und anscheinend kennen alle dich.
    Der Jeep biegt plötzlich nach links.
    Wir fahren etwa zehn Minuten
    auf einem schmalen Weg aus gestampfter Erde
    und gelangen zu einem Farmhaus
    mit grünem Dach mitten in einem riesigen Anwesen.
    Die Frau meines Freundes, eine große Rothaarige,
    erwartet uns an der Tür.
    Als wir an einer irischen Fahne
    mitten auf einer Kuhweide vorbeikommen,
    meine ich, in einem anderen Land zu sein.
    Einige Zeit nach meinem Weggang von Haiti
    ist er nach Irland gegangen
    und zwanzig Jahre dort geblieben.
    Dann hat er Irland
    in diesen grünen Weiler gebracht,
    der über Pétionville in die Höhen gebettet liegt.
    Als ich in Irland war, berichtet er, lebte ich wie in Haiti. Hier in Haiti fühle ich mich ganz wie ein Ire. Weiß man irgendwann, wer man wirklich ist? Diese Art von Fragen vermittelt einem den Eindruck, intelligent zu sein, selbst wenn die Sonne herunterknallt. Doch diese Eitelkeit hält nicht länger,

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