Das Rätsel der Templer - Roman
er mit geschlossenen
Augen.
Unvermittelt öffnete er seine Lider, als ob man ihn soeben aufgeweckt hätte. »Alles fließt«, referierte er weiter und begegnete
dem verstörten Blick des Majors mit einem Lächeln. »Sagte schon der alte Heraklit. Und er hatte recht. Ein gewaltiges, für
den Menschen nicht wahrnehmbares neuronales Netz aus magnetisch geordneten, atomaren Dreiecksverbindungen, das von einem nicht
enden wollenden, schwingenden Energiestrom durchflutet wird, organisiert den Ablauf von Raum und Zeit. Dabei wiederholen sich
die Abläufe ständig und vor allem gleichzeitig. Nur über ausgeklügelte Formeln und komplizierte Gleichungen ist es möglich,
sich den sogenannten Schatten an der Wand zu nähern und ihre Bedeutung – wenn auch vorerst nur zaghaft – Zug um Zug zu entschlüsseln.
Das heißt im Klartext«, konstatierte Hagen, »wir können schon jetzt unspektakuläre organische Gegenstände wie zum Beispiel
Äste von Bäumen, kleineres Gestein, Erdklumpen, abgestorbene Blätter und sogar kleinere Pflanzen aus früheren Zeitabschnitten
im Hier und Jetzt materialisieren, indem wir ihre atomaren Netzsequenzen aus dem Raum-Zeit-Kontinuum herausschneiden – wie
ein Gen aus einer lebenden Zelle – und das Ergebnis entsprechend in die Jetztzeit einbauen. Genau hier, in diesem Raum. Und
das ist längst noch nicht alles«, verkündete er nicht ohne Stolz in der Stimme. |217| »Der alle Ebenen durchdringende, fortwährend pulsierende Energiestrom durchflutet die eingesetzten Strukturen wie Blut in
den Adern eines lebenden Organismus und lässt sie in der neuen Zeitepoche wieder aufleben, verfestigt sie und entwickelt sie
sogar fort.«
»Faszinierend«, murmelte Simmens.
»Ich führe Sie gerne im Anschluss an diese Exkursion in unseren botanischen Garten.«
»Botanischer Garten?« Simmens runzelte ungläubig die Stirn.
»Der Spitzname für unsere biologische Forschungsabteilung«, antwortete Hagen lächelnd. »Das einzige, was ein aus dem fünfzehnten
Jahrhundert transferiertes Gänseblümchen daran hindert, nach seiner Transmission im Hier und Heute weiterzublühen, ist der
Umstand, dass der zuständige Laboratoriumsbotaniker vergisst, es zu gießen.«
»Was würde passieren, wenn Sie durch ihre Experimente den Ablauf der Zeit verändern. Oder ist so etwas nicht möglich?« Die
Augen des Majors verengten sich zu einem kritischen Blick.
»Bislang waren alle Versuchsobjekte so unbedeutend, dass deren Verschwinden allem Anschein nach in ihrem eigentlichen Zeitmuster
oder – besser gesagt – auf der benachbarte Zeitebene keine maßgeblichen Konsequenzen nach sich gezogen hat.« In Hagens Stimme
lag eine betonte Gelassenheit, die Simmens jedoch nicht dazu veranlasste, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.
»Und was ist mit der Chaostheorie? Dem berühmten Flügelschlag eines Schmetterlings in Alaska?«
»Wenn Sie sich bei dieser Geschichte von etwas verabschieden sollten«, erwiderte Hagen mit einem Anflug von Arroganz, »sind
es gängige Theorien.
Wir bewegen uns auf absolutem Neuland. Es ist wie mit Kolumbus. Wir sind die ersten, die mit den Indianern sprechen. Und wenn
sich unsere Arbeit erst einmal durchgesetzt hat, wird auch niemand mehr daran zweifeln, dass die Amerikaner die ersten waren,
die ihre Flagge in den Mondstaub versenkt haben. Sollte es wider Erwarten nicht so gewesen sein, werden wir es schleunigst
nachholen.«
Während Simmens tief beeindruckt schien, amüsierte sich Hagen heimlich über sein eigenes schauspielerisches Talent, das er
den Amerikanern gegenüber immer wieder an den Tag hatte legen müssen, um die |218| nötigen Gelder für das Projekt zu bekommen und lästige Bedenken zu zerstreuen. Dabei war man in seinem engsten Mitarbeiterkreis
noch längst nicht einig darüber, welchen Einfluss die Experimente tatsächlich auf den Verlauf der Geschichte nehmen konnten.
Es gab zwar eine Theorie, die besagte, dass eine Einflussnahme nicht möglich sei, weil der Aufbau der Netzstruktur dies verhindere,
aber bislang hatte man einfach noch nicht ausreichend forschen können, um diese These zu bestätigen. Und die Frage nach dem
Ersten oder dem Letzten, der seine Flagge in welchen Staub auch immer rammen würde, stellte sich mit Einführung der Zeitsynchronisation
ohnehin nicht mehr.
Noch am gleichen Abend näherte sich ein silberfarbener Audi TT kurz nach 23 Uhr der Einfahrtskontrolle zur Forschungsanlage
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