Das Rätsel der Templer - Roman
Essen. Könnt Ihr das glauben?«
»Alles gleichzeitig?« Gero verfiel vor lauter Verzweiflung, über soviel Unsinn in einen ironischen Plauderton.
»Nein!«, erwiderte Matthäus in besserwisserischer Ungeduld. »Nacheinander. Sie benutzen jedes Mal ein neues Tüchlein oder
sogar mehrere. Reines, weißes Papier, so weich wie eine Flaumfeder.«
Matthäus wedelte so lange mit der Rolle in der Luft herum, bis sich ein länglicher Streifen löste, der im Takt seiner Bewegungen
wie eine müde Fahne vor sich hinflatterte »So etwas habe ich überhaupt noch nie gesehen«, begeisterte er sich. »Ihr vielleicht?
Ihr könnt es gerne einmal anfassen!«
Angetrieben von seinem Entdeckerdrang überschlug sich die Stimme seines Knappen, und Gero, der sprachlos auf die weiße Rolle
starrte, an der Matthäus sich nun anschickte, die Blätter einzeln abzuzupfen, um sie hernach zu Boden segeln zu lassen, blieb
nur noch der Rückzug. Unehrenhaft, wie er sich selbst zu seiner Schande eingestehen musste.
Wortlos verließ er den Raum. Draußen auf dem Flur lehnte er sich schwer atmend an die Wand neben der Tür und fuhr sich nervös
über die feuchten Haare und den schmerzenden Nacken. Als er sich herumdrehte, um nach der Frau Ausschau zu halten, wäre er
fast mit ihr zusammengestoßen.
Sie trug einen Stapel Handtücher auf dem Arm und lächelte ihn aufmunternd an.
»Ich slagge vor, dass iur iuh eerst ain maal entspannet. Unde danne versuochen wir vernümftiklieche mit einander zuo sprechen.«
|322| Hannah hoffte, dass der Templer an ihrer Tonlage erkennen konnte, dass sie es gut mit ihm meinte. Was hatte ihre Großmutter
immer gemutmaßt? Unsere Ururgroßeltern würden verrückt werden, wenn sie noch mal auferstehen könnten und miterleben müssten,
was sich alles verändert hatte.
Sie berührte ihn sanft am Arm. Er wehrte sich nicht und ließ sich ins Bad zurückschieben. Den Jogginganzug, der im Schlafzimmer
liegen geblieben war, legte sie zusammengefaltet auf den Stuhl neben der Wanne, und auch Matthäus überreichte sie frische
Sachen zum Anziehen. Spätestens morgen würde Versandhauskleidung eintreffen, die sie in aller Eile für den Jungen bestellt
hatte. Sein Herr konnte sich derweil aus dem Fundus ihres verstorbenen Vaters bedienen.
»Hier, für Euch …«, begann sie und hielt dem Ritter eine frische Zahnbürste entgegen. Er zögerte einen Augenblick, sie anzunehmen.
Bevor er eine Entscheidung treffen konnte, kam ihm Matthäus zuvor und nahm ihr die Zahnbürste aus der Hand. Er lächelte seinen
Herrn an und setzte eine dozierende Miene auf. Dann drehte er das Bürstchen hin und her und entblößte sein jugendliches Gebiss,
als ob er sich die Zähne putzen wollte.
»Es ist ein Miswak …«, nuschelte er mit gebleckten, zusammengebissenen Zähnen. »Aber man muss es nicht in Wasser weichen und
auch nicht darauf herumkauen, bevor man es gebrauchen kann«, fügte er hinzu und lächelte Hannah dankbar an.
Sein Herr konnte die Freude des Jungen allem Anschein nach nicht teilen. Seine Miene blieb undurchsichtig, und Hannah zog
es vor, die beiden vorerst sich selbst zu überlassen. Sie atmete tief durch, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte,
um in die Küche zu gehen, weil sie den beiden nach dem Bad etwas zu essen anbieten wollte.
Lieber Gott, was hast du dir nur dabei gedacht, als du Tom und seinen Komplizen die Freigabe für die erfolgreiche Entwicklung
dieser Höllenmaschine erteilt hast? dachte sie bei sich. Tom! Sie hielt inne und wandte sich einem Schränkchen im Flur zu,
auf dem ihr Mobiltelefon lag.
Im Wohnzimmer ließ sie sich auf ihr Plüschsofa fallen. Entspannt legte sie die die Füße auf den Couchtisch und wählte Toms
Nummer.
|323| »Ja!« Seine Stimme klang gehetzt.
»Gott sei Dank, Tom, gut dass ich dich erreiche.«
»Hannah, du sollst mich doch nicht anrufen. Ich melde mich bei dir, sobald ich kann. Ist das Päckchen angekommen?«
»Päckchen?« Plötzlich schwante ihr, dass das Telefon möglicherweise abgehört wurde.
»Das Päckchen ist heute bei mir angekommen«, erwiderte sie leicht ironisch.
»Heute schon?« Tom war hörbar überrascht. »Und war der Inhalt in Ordnung?«
»Mach dir keine Sorgen, alles ist bestens.«
»Hannah, ich mach’ das alles wieder gut.«
»Schon klar.«
»Dafür liebe ich dich …«
»Tom?« Doch er hatte die Verbindung bereits unterbrochen.
»Ihr müsst den Hebel nach oben ziehen«, sagte Matthäus,
Weitere Kostenlose Bücher