Das Rätsel der Templer - Roman
nachdem sein Herr aus dem Wasser gestiegen war. Er stand nun am Waschbecken,
um sich vor dem Spiegel zu rasieren.
Was soll das werden, wenn der Knappe schlauer ist als man selbst? dachte Gero ärgerlich. Im ersten Moment, als das Wasser
aus der Leitung schoss, zuckte er zurück. Doch schnell hatte er herausgefunden, wie man die Stärke des Strahls regulieren
konnte, ohne von oben bis unten nass zu werden. Zögernd nahm er das nach Sandelholz duftende Stück Seife, das er auf dem Rand
des Waschbeckens fand, und benetzte Gesicht und Hals mit dem Schaum. Routiniert entfernte er mit seinem Parierdolch die störenden
Barthaare unter dem Kinn und am Hals entlang. Einen Augenblick überlegte er, ob er den Bart ganz abnehmen sollte. Doch dann
siegte sein Stolz. Ein kurz geschorener, gepflegter Bart gehörte schließlich zu einem Templer wie die Tonsur zu einem Mönch.
Hannah fuhr vor Schreck zusammen, als ein großer schwarzer Schatten im Türrahmen der Küche auftauchte. Unterhalb des Kinns
war der hünenhafte Templer nun frisch rasiert. Er roch nach Seife und trug wieder den schwarzen Jogginganzug, mit dem er am
Nachmittag hier |324| angekommen war. Hinter ihm erschien Matthäus. Sein Blick war längst nicht so verstört wie der seines Herrn.
»Sag deinem Meister, es gibt gleich was zu essen.« Hannah lächelte, in der Hoffnung, dass sich mit dieser Ankündigung die
Atmosphäre schlagartig verbessern würde.
Matthäus schien begeistert, doch sein Begleiter ließ sich nicht so schnell einwickeln. Interessiert streifte sein Blick sämtliche
Gerätschaften in der Küche, dabei näherte er sich vorsichtig.
Unwillkürlich wich Hannah zurück. Ein Lächeln, das man als Entschuldigung hätte deuten können, huschte über sein Gesicht.
»Wîp …«, sagte er zögernd. »… Wie heizest du?«
»Hannah … äh … Schreyber, mit Ypsilon«, antwortete sie.
»Hannah …?« Er zögerte und ließ seinen Blick über ihr Gesicht und ihre langen Haare gleiten. »Hannah, sag uns, wâ wir sint.
Ich bite dich.«
Sie glaubte die Andeutung einer Verbeugung erkannt zu haben. »Magst du roten Wein?«
Er nickte, obwohl sich eine gewisse Skepsis in seiner Miene widerspiegelte.
Sie amüsierte sich heimlich über seinen verblüfften Gesichtsausdruck, als sie eine Flasche Bordeaux entkorkte und den Wein
in zwei Gläser füllte.
Matthäus schaut begehrlich auf den Wein, und Hannah schüttelte den Kopf.
»Dafür bist du noch zu jung«, erwiderte sie streng und überreichte ihm einen Becher Apfelsaft, den er, ohne zu murren, entgegennahm.
»Ir siet in dere Aiflia – Tütsche Lanten – unde wie ir her kummen siet, dass ist einü lengere geschichte!« Sie ging an dem
erstaunten Ritter vorbei, der immer noch eingehend die Flasche und auch das filigrane Glas betrachtete, das sie ihm in die
Hand gedrückt hatte. Mit einem Nicken gab sie ihm zu verstehen, dass er ihr ins Wohnzimmer folgen sollte.
Erst, nachdem sie sich in einem der Sessel niedergelassen hatte, suchte er sich ebenfalls einen Platz. Hannah bemerkte die
Unsicherheit in seinen Bewegungen. Vor ihr lag ein mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit diesem Werk, ein paar Brocken Latein,
dem moselfränkischen Dialekt ihrer Urahnen und einer gehörigen Portion Einfühlungsvermögen |325| musste es ihr einfach gelingen, dem ahnungslosen Mann seine momentane Lage zu erklären.
»Unde? Wie heizest du?«, fragte sie ihn geradeheraus, obwohl sie seinen Namen längst aus den Urkunden und dem Mantel kannte.
Der Templer räusperte sich, als ob er Zeit gewinnen wollte. »Ih bin Gêrard von Breydenbach, jungister sun des edlen Rîchardes
von Breydenbach, man des Erzbischoves von Trevere. Du mahst mih Gêro heizen, wenne ez vür dih sus lîhter ist.
»Gero«, erwiderte Hannah wie zur Bestätigung und erhob prostend ihr Glas. Fast gleichzeitig tranken sie einen Schluck Wein.
Unwillkürlich fiel ihr Blick auf seinen ausdrucksvollen Mund.
Zwei Teller Linsensuppe und geschlagene vier Stunden später hatte sie ihn bei Einbruch der Dunkelheit so weit, dass er wenigstens
ansatzweise das Unfassbare akzeptierte. Soweit sie es bis hierhin beurteilen konnte, war er hochgebildet. Beiläufig hatte
sie erfahren, dass er in der Lage war, sich mit seinem Knappen in drei verschiedenen Sprachen zu unterhalten, Mittelhochdeutsch,
Latein und etwas, das man vielleicht als Französisch bezeichnen konnte. Es war erstaunlich, wie schnell er sich an ihre ganz
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