Das Rätsel der Templer - Roman
verstohlenen
Blick auf die kleine Wanduhr, die bereits das Interesse seines Knappen geweckt hatte. Es war fast Mitternacht. »Im Obergeschoss
habe ich ein Zimmer hergerichtet«, sagte sie. »Wenn du möchtest, kannst du dort mit dem Jungen zusammen wohnen.«
Sie schenkte Matthäus ein Lächeln. Er hatte in der Zwischenzeit neben seinem Herrn Position bezogen, als warte er auf einen
Befehl, dabei sah er ziemlich müde aus.
Zähneknirschend stimmte der Templer zu, aber realistisch betrachtet blieb ihm vorerst ohnehin nichts anderes übrig.
»Das nennt sich elektrisches Licht«, sagte Hannah so gelassen wie möglich und schaltete, nachdem sie den ganzen Abend bei
Kerzenschein zugebracht hatten, zum ersten Mal im Flur die Deckenbeleuchtung ein. Sie sah, dass Gero die Zähne zusammenbiss
und sein Mund schmal wurde, als sein Blick abwechselnd zwischen Lichtschalter und Lampe hin und her pendelte.
|328| »Um deiner Frage zuvorzukommen, es ist keine Zauberei«, fügte sie hinzu.
»Wieso glaubst du, dass ich denke, es wäre Zauberei?«, fragte er.
»Weil Matthäus meinte, ich sei eine Zauberin, als er es zum ersten Mal gesehen hat«, sagte sie leise, damit der Junge sie
nicht hörte.
»Ich bin kein Kind«, bemerkte Gero ärgerlich und blieb vor ihr stehen. »Denkst du, ich wüsste nicht, dass es für die meisten
Dinge in dieser Welt eine vernünftige Erklärung gibt, auch wenn sie sich uns nicht sogleich erschließt?« Er beugte seinen
Kopf zu ihr herab, so dass sich ihre Nasen fast berührten. Sein Atem roch nach Wein, und seine hellen Augen blitzten herausfordernd.
»Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du so einfältig bist, nur an Dinge zu glauben, die du sehen und verstehen
kannst und alles andere als Zauberei wertest. Dann wäre Gott der Allmächtige und all sein Wirken Zauberei, und das ist es
mit Gewissheit nicht.«
Hannah schluckte. Wenn er sie hatte überraschen wollen, so war ihm das gelungen.
Oben angekommen warf Gero von Breydenbach einen kurzen Blick auf das schlichte, aber breite Gästebett und nickte zufrieden.
Hannah fasste in ihre Rocktasche und zog ein silbernes Kreuz an einem geflochtenen Lederband hervor. Sie hatte es ihm schon
die ganze Zeit geben wollen, es aber in der Aufregung vergessen.
Seine Finger waren rau, warm und trocken, als sie sich um ihre Hand schlossen, um das Schmuckstück entgegenzunehmen.
»Habt Dank«, sagte er mit seiner unnachahmlich dunklen Stimme. Der feuchte Schimmer in seinen Augen bezeugte, dass diese Worte
aus tiefstem Herzen kamen.
Es hatte Ewigkeiten gedauert, bis Hannah endlich in den Schlaf fand. Mitten in der Nacht wurde sie von den knarrenden Bodendielen
der Treppe geweckt. Schweißgebadet fuhr sie aus einem Alptraum hoch.
Während sie sich langsam in die Realität zurückkämpfte, wurde ihr mit klopfendem Herzen bewusst, dass sie dieses Haus ab sofort
nicht mehr allein bewohnte.
Gespannt lauerte sie darauf, ob sich die Tür zu ihrem Schlafzimmer öffnen würde Was wäre, wenn ihr neuer Hausbewohner auf
dumme |329| Gedanken kam und sie vergewaltigen wollte? Doch nur ein dumpfes Poltern war zu hören. Allem Anschein nach befand sich der
nächtliche Wanderer in ihrem Wohnzimmer. Trotz aufkeimender Furcht beschloss sie, der Sache auf den Grund zu gehen. Ohne das
Licht einzuschalten, zog sie ihren Satinmantel über. Auf Zehenspitzen arbeitete sie sich durch den Flur zur Wohnzimmertür
vor und spähte zaghaft durch den schmalen Türspalt. Zu ihrer Überraschung vernahm sie eine leise, dunkle Stimme. Es hörte
sich beinahe an, als ob jemand heimlich telefonierte. Mit einiger Überwindung schob sie ihren Kopf noch weiter durch den Türspalt.
Verblüfft hielt sie inne. Auf dem Boden kniete der Templer. Das silbrige Mondlicht, das durch die Terrassentür hereinfiel,
zeichnete sein Gesicht und auch seine aufrechte Haltung in scharfen, schwarzweißen Konturen nach. Die Hände exakt gefaltet,
wie sie es von den prachtvollen, lebensgroßen Heiligenfiguren in vielen katholischen Kirchen kannte, murmelte er andächtig
vor sich hin. Bei genauem Zuhören klang es wie eine lateinische Liturgie. Dabei war sein Blick stur geradeaus auf die große,
handgeschnitzte Madonnenfigur gerichtet, die sie vor Jahren in einem Devotionalienladen in Oberammergau erstanden hatte und
die seitdem auf einem Eckregal über dem Tisch thronte.
Obwohl ihr eine innere Stimme riet, sich unverzüglich zurückzuziehen, konnte
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