Das Rätsel der Templer - Roman
Anselm und Hannah gab er ein
Zeichen, dass sie ihm folgen sollten.
Gemeinsam betraten sie ein dreistöckiges Gebäude, und Hannah |516| erinnerte sich, dass hier sehr viel später ein gut besuchtes Restaurant stehen würde, dessen Name Rückschlüsse auf die Anwesenheit
der ehemaligen Besitzer zuließ.
Eine eigentümliche Geruchsmischung von Weihrauch, Bienenwachs und Eintopf lag in der Luft, als sie in eine Art Vorraum traten.
In einer Ecke stand eine etwa einen Meter hohe, steinerne Madonna auf einem Marmorsockel, die huldvoll lächelte.
»Brysich ist die zweitgrößte Komturei in den Rheinlanden«, erklärte Gero nicht ohne Stolz. »Ich war schon öfter mit meinem
Vater hier. Früher, bevor ich dem Orden beigetreten bin. Für gewöhnlich tätigt er hier seine Geldgeschäfte.«
Anselm nickte mit leichtem Erstaunen. »Also dann stimmt es doch, dass die Komturei von Bad Breisig, wie der Ort in der Zukunft
heißt, so etwas wie eine Sparkasse des Mittelalters war.«
Bei einem braun gewandeten jungen Kerl mit schütterem, hellblondem Haar nahm Gero ihre Anmeldung vor. Akribisch kontrollierte
der junge Bruder Geros Papiere und kritzelte, an ein Stehpult gelehnt, mit einem Gänsekiel etwas auf einen gelben Zettel,
den er anschließend sauber in zwei Hälften trennte. Die zweite Hälfte gab er Gero, während er die andere in einem Kästchen
abstellte.
Auf Geros Nachfrage nach seinen vermissten Kameraden schüttelt der Templerbruder den Kopf.
Das verbliebene Schriftstück hielt Gero noch in Händen, als plötzlich das Läuten einer Glocke einsetzte und kurz darauf Stimmengewirr
erklang.
Mindestens fünfzehn Männer drängten in den kühlen Hausflur. Eine seitliche Flügeltür zu einem angrenzenden Raum wurde wie
von Geisterhand geöffnet und lud in einen hellen Saal ein, in dem zwei lange Reihen mit gedeckten Tischen auf hungrige Besucher
warteten. Etwa fünfzig Menschen konnten dort Platz finden.
Wie eine Woge umspülten die langen, weißen Mäntel mit den roten Kreuzen Hannahs Gestalt, und im Verhältnis zu deren stattlichen
Besitzern wirkte sie geradezu zierlich. Fast in Panik hielt sie Ausschau nach Gero. Und sie war nicht die einzige, die ihn
schließlich entdeckte.
»Frater Gero«, brüllte jemand unvermittelt aus der Menge heraus. |517| Die Stimme war kehlig und rau und gehörte einem Mann im mittleren Alter mit kurzen, dunklen Haaren und dichtem, schwarzgrau
melierten Bart.
Hannah beobachtete, wie ein Ruck durch Geros Körper ging und ein Leuchten in seine hellen Augen trat, als er den Rufenden
erkannte.
»Theobald! Himmelherr, Bruder, was macht Ihr hier?«
Die beiden Männer fielen sich in die Arme und schlugen sich gegenseitig vor Freude auf den Rücken. Interessiert beobachteten
die übrigen Weißmäntel, was da vor sich ging.
Anselm hatte sich in den Hintergrund an eine Wand gedrückt, und Hannah sah, wie er heimlich sein Mobiltelefon zückte. Sollte
er jemals in ihre Zeit zurückkehren, besaß er als einziger Mensch ein digitales Foto zweier schluchzender Angehöriger eines
Ritterordens, der selbst in der Zukunft noch ein Inbegriff heldenhafter Tapferkeit sein würde.
»Gero, mon frère«, flüsterte der Fremde erstickt, wobei er das ›G‹ wie ein ›J‹ aussprach. Dann hielt er inne und küsste Gero
unvermittelt auf den Mund.
»Frater Theobald«, raunte Gero gerührt. »Allen Heiligen sei Dank, Ihr lebt!« Zu Hannahs großer Überraschung erwiderte Gero
den Kuss des Kurzgeschorenen mit einer Intensität, die sie irritierte.
Ein Schwall altfranzösischer Worte brach über die beiden herein, als einige andere Brüder Gero ebenfalls erkannten. Zu Hannahs
Erstaunen schien es tatsächlich nichts Unübliches zu sein, dass diese Männer sich auf den Mund küssten.
»Nicht hier«, sagte der Dunkelbärtige zu Gero und sah sich suchend um. »Wir sollten uns vom Komtur einen Raum zuweisen lassen,
in dem wir ungestört reden können.«
»Ich bin nicht allein«, erwiderte Gero. »Ich werde meine Begleiter im Refektorium anmelden, damit sie sich stärken können.
Dann haben wir Zeit, um zu reden.«
Verstohlen steckte Anselm sein Mobiltelefon in die Manteltasche, als Gero auf ihn zuschritt und ihm ein paar kurze Anweisungen
gab. Nach der Turmglocke zu urteilen, musste es gegen ein Uhr mittags sein. Mit einem vertraulichen Zwinkern verabschiedete
sich Gero von Hannah, bevor er mit dem fremden Bruder in einer Seitentür verschwand.
|518| Anselm geleitet
Weitere Kostenlose Bücher