Das Rätsel der Templer - Roman
Einen Moment verharrten die beiden in dieser Position.
Dann murmelte der Alte etwas, und Gero erhob sich bedächtig, während er den Blick immer noch gesenkt hielt. Vater und Sohn
standen sich auf Augenhöhe gegenüber, und Hannah erkannte plötzlich die verblüffende Ähnlichkeit der beiden Männer. Eine Ahnung
beschlich sie, dass die beiden es nicht leicht miteinander hatten. Dann schreckte Gero ein wenig zurück, als sein Vater ihn
unerwartet heftig umarmte.
Irgendjemand brach in Beifall aus, und die anderen Burgbewohner taten es ihm nach. Etliche Hochs auf das Haus Breydenbach
und seine Herrschaft folgten, und selbst der Erzbischof und der König wurden nicht ausgelassen.
Hannah zuckte zusammen, als hinter ihr jemand lautstark die Luft einsog.
|545| »Die Herrin, o Gott, wie wird sie es aufnehmen?«
Neugierig wandte sie sich um und sah eine Frau, die sich vor Aufregung in die Faust biss. Auch die übrigen Frauen, die allesamt
weiß gestärkte Hauben und Kopftücher trugen, glühten mit einem Mal vor Anspannung.
Wie auf eine geheime Regieanweisung hin trat Geros Vater ein wenig zur Seite. Eine kostbar gekleidete Frau in einem bodenlangen,
grünlich schillernden Kleid und einer weiß gestärkten Haube auf dem Kopf löste sich aus einer Gruppe von Wartenden, die sich
am Eingang des Hauptgebäudes versammelt hatten. Ohne ein Wort lief sie auf Gero zu und fiel ihm um den Hals. Während er stocksteif
da stand und mit den Tränen kämpfte, hielt sie stumm und mit geschlossenen Augen ihre Wange an seine Brust gepresst. Ihre
Schultern zuckten verräterisch. Immer wieder strich sie mit ihrer Hand über Geros breiten Rücken. Hannah ahnte, dass es sich
bei der zierlichen, älteren Frau nur um Geros Mutter handeln konnte. Er hielt sie fest und wiegte sie dabei wie ein Kind.
Schließlich löste sie sich von ihm und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
Mit verlegener Miene sah Gero sich um, bis er plötzlich Hannah erblickte und sie mit einem Wink zu sich heranrief.
Sein Vater erhob einen Moment später seine sonore Stimme und schaute in die Runde seiner Untertanen.
»Ihr könnt wieder an die Arbeit gehen«, verkündete er laut. »Heute Abend gebe ich ein Fest zur Heimkehr meines Sohnes. Zur
Freude aller soll der Küfer zwei Fässer vom besten Wein ausgeben.«
Verhaltene Rufe der Zustimmung waren hier und da zu hören, dann zerstreute sich die Versammlung ebenso rasch, wie sie zusammengekommen
war.
Hannah spürte, wie Geros Mutter ihr prüfend ins Gesicht schaute. Die Burgherrin war eine schöne Frau mit heller Haut, und
nur ein paar kleine Fältchen um die tiefblauen Augen ließen ihr wahres Alter erahnen. An ihrem feinsinnigen, aber bestimmenden
Zug um die Mundwinkel herum glaubte Hannah zu erkennen, dass sie ziemlich durchsetzungsfähig sein musste. Wenn man Geros Vater
betrachtete, sicher ein lebensnotwendiger Charakterzug.
Als ob der Burgherr ihr Interesse bemerkt hätte, drehte er sich um |546| und fixierte Hannah mit einem seltsam stechenden Blick. »Sagt, Jungfer«, sprach er mit dunkler Stimme. »Wo steht Euer Elternhaus?«
Hannah war zu verblüfft, um zu antworten.
Anselm kam ihr zur Hilfe. »Wenn Ihr erlaubt«, sagte er auf mittelhochdeutsch und verbeugte sich formvollendet. »Mein Name
ist Anselmo de Caillou, und das hier ist meine Schwester Hannah.« Besitzergreifend legte er einen Arm um Hannahs Schulter.
»Wir haben Euren Sohn ein Stück seines Wegs begleitet. Aber das wird er Euch sicher selbst noch berichten.«
»Hannah?«, erwiderte Geros Vater bedächtig. »Seid Ihr Christen?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Anselm und verbeugte sich erneut.
»Als Freunde meines Sohnes heiße ich Euch in meinem Haus willkommen«, erklärte Richard von Breydenbach. Dann wandte er sich
an Gero, der mit angespannter Miene hinter ihm stand. Offenbar beunruhigte ihn die Konversation, die sein Vater so unvermittelt
mit Anselm und Hannah begonnen hatte.
»Deine Mutter soll die Mägde anweisen, die Gästekammern im Obergeschoss für deine Freunde herzurichten«, sagte sein Vater,
als er bemerkte, wie Gero ihn mit einer gewissen Verunsicherung im Blick beobachtete.
Gero nickte erleichtert. »Habt Dank, Vater, für Eure Gastfreundschaft.«
»Wahrscheinlich ist er froh, dass sein alter Herr uns nicht im Verlies einquartiert«, flüsterte Hannah mit einem schrägen
Blick zu Anselm hin.
Plötzlich löste sich eine schmale Gestalt in einem fließenden, dunkelblauen
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