Das Rätsel der Templer - Roman
doch nur zwei, die uns angegriffen haben, und einer von ihnen ist bereits tot«, protestierte Hannah. »Und was
soll die Frau damit zu tun haben? Du kannst doch nicht zulassen, dass man sie umbringt!« Ihre Stimme überschlug sich fast.
»Es ist eine ganze Räuberbande. Sie gehört dazu«, sagte Gero ruhig. »Wir waren nicht die ersten, über die sie hergefallen
sind. Einige unserer Vorgänger haben die Überfälle nicht überlebt.«
Hannah bedachte ihn mit einem ungläubigen Blick. Wie war es möglich, dass dieser Mann, der heute Morgen so zärtlich zu ihr
gewesen war, solche Grausamkeiten zulassen konnte?
Wilhelm von Eltz schenkte Gero einen merkwürdigen Blick, als er ihn verabschiedete. Dann sah er zu Hannah hin und betrachtete
sie misstrauisch.
Gero hatte ihr mit versteinerter Miene, die seinen ganzen Ärger über ihre Einmischung verriet, aufs Pferd geholfen.
»Überbringe deinen Eltern die herzlichsten Grüße«, sagte der Burgvogt betont freundlich, nachdem Gero sich in den Sattel seines
Wallachs geschwungen hatte.
»Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft, Oheim«, entgegnete Gero höflich und straffte die Zügel.
Anselm war die Erleichterung anzusehen, als sie endlich aufbrachen.
Mit einem rasselnden Geräusch wurde das große Außentor an einer mächtigen Kette herabgelassen, damit sie passieren konnten.
Die |539| Wächter salutierten, indem sie die mit einem Banner geschmückten Lanzen kerzengerade vor sich aufgestellt hielten und eine
feierliche Miene aufsetzten.
Noch im Vorbeireiten ereilte Hannah die Gewissheit, dass sie den Anblick des am Haken hängenden Leichnams bis an ihr Lebensende
nicht würde vergessen können.
Den ganzen Morgen über nieselte es. Hannah stellte unterdessen verwundert fest, dass selbst ihre Haare unter der Kapuze des
neuen Überwurfs trocken blieben.
Gero schien die Nässe nichts auszumachen. Er verzichtete auf eine Kopfbedeckung, selbst als der Regen stärker wurde.
Unterwegs versuchte Hannah vergeblich, herauszufinden, ob ihr die Umgebung bekannt vorkam. Ab und an meinte sie, Höhenzüge
und Bachläufe erkennen zu können. Aber wie sie schon zuvor festgestellt hatte, gab es viel weniger Wald, und die winzigen
Dörfer befanden sich meist in Gesellschaft pittoresker Burgen, die ihr noch nicht einmal als Ruine in Erinnerung waren. Felder
und Wiesen mit großen Schafherden komplettierten das ungewohnte Bild. Auf den zum Teil gepflastert Straßen herrschte reger
Verkehr. Unentwegt überholten sie etliche Pferdewagen oder Ochsengespanne mit Ferkeln, Hühnern, Steinen, Stroh, Holz und Weinfässern.
Irgendwann verließ Gero den Weg und ritt querfeldein. Seinen Schutzbefohlenen blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Seit sie die Genovevaburg verlassen hatten, hatte er kein Wort mehr gesprochen. Nur ab und an vergewisserte er sich mit einem
Blick, ob die Gruppe noch vollständig war.
Matthäus, der die Nachhut bildete, saß mit hängendem Kopf in seinem Sattel.
Hannah zügelte ihr Pferd, um auf ihn zu warten, und lächelte ihn an.
»Was ist?«, fragte sie. »Freust du dich nicht, dass du wieder zu Hause bist?«
»Ich habe kein Zuhause«, erwiderte Matthäus mit leiser Stimme.
»Ist dein Zuhause nicht bei Gero?« Hannah setzte eine aufmunternde Miene auf und stellte sich gleichzeitig die Frage, was
aus dem Jungen werden sollte, wenn sein Herr sich tatsächlich entschied, nach Frankreich aufzubrechen, um seinen Komtur zu
suchen. Dass Gero |540| durchaus rücksichtslose Züge an den Tag legen konnte, wusste sie spätestens seit heute Morgen.
»Ich glaube, er bringt mich zu den Zisterziensern nach Hemmenrode«, erwiderte Matthäus leise.
»Das wird er nicht«, erklärte Hannah mit Bestimmtheit.
»Woher wisst Ihr das?« Die Augen des Jungen leuchteten hoffnungsvoll.
»Er hat es gesagt«, log Hannah.
»Wirklich?« Ein glückliches Strahlen huschte über das kindliche Gesicht.
Hoffentlich behalte ich Recht, dachte Hannah und richtete ihren Blick auf Geros Rücken. Das rote Kreuz auf seinem Templerumhang
war weithin zu sehen und erschien ihr mit einem Mal wie eine Zielscheibe.
Auf dem Weg zum Familiensitz der Edelfreien von Breydenbach musste die Reisegruppe eine Hügelkette nach der anderen überwinden,
vorbei an Viehweiden und abgeernteten Feldern. Schmale Trampelpfade trennten die einzelnen Parzellen, und an jeder größeren
Weggabelung stand ein Holzkreuz aus dicken Balken oder eine kleine gemauerte Kapelle mit
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