Das Rätsel der Templer - Roman
begriff, dass die Frau eine Dienerin war. Auf der Kleiderkiste standen nun eine
große Steingutschüssel und ein Krug, der wenigstens fünf Liter fasste. Auf einem Holzgestell daneben lagen ein paar blaue
Handtücher und, wenn sie sich nicht täuschte, ein Stück Seife.
Die Frau hatte sich offensichtlich beruhigt. Sie wandte sich zum Kamin und schichtete Reisig und einige Holzblöcke auf, die
sie einem Weidenkorb entnahm.
Hannah konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihre neue Zugehfrau ohnehin kein gesteigertes Interesse an einer morgendlichen
Unterhaltung hatte. Ihr selbst erging es nicht anders. Mittelhochdeutsch verstehen und sprechen war zweierlei.
Die Magd überwand ihre anfängliche Scheu recht schnell und trat erneut an Hannahs Bett. Ohne zu fragen, schlug sie deren Decken
auf.
Trotz des Umstandes, dass mittlerweile ein wohliges Feuerchen im Kamin prasselte, war es für Hannahs Geschmack lausig kalt.
Zitternd, nur mit einem knielangen Hemd bekleidet, ließ sie es zu, dass die bleichgesichtige Frau sie am Ellbogen fasste und
sie zum Aufstehen bewegte.
Wahrscheinlich dachte die gute Frau, dass Hannah stumm sei oder aus einem fernen Land stammte. Wie sonst war es zu erklären,
dass sie sich lediglich einer gut verständlichen Zeichensprache bediente?
Wie Alice im Wunderland ließ es sich Hannah gefallen, dass man sie auf einen Stuhl setzte, ihr das Haar bürstete, Gesicht,
Hände und sogar |568| Füße wusch und sie mit einer nach Lavendel und Rosenöl duftenden Salbe massierte. Danach verließ die Frau wortlos die Kemenate.
Hannah nutzte die Gelegenheit, den Waschtisch zu inspizieren. Hinter dem blaugrauen Keramikkrug stand ein kleiner Becher aus
gebranntem Ton. Die bräunliche Flüssigkeit mit einem sauber abgeschabten Holzstöckchen darin erinnerte sie an einen Milchkaffee
mit Umrührstäbchen. Hannah nahm den Becher in die Hand und beschnupperte prüfend den Inhalt. Ein merkwürdig vertrauter Geruch
nach Kaugummi schlug ihr entgegen. Sie nahm das Stöckchen heraus und sah, dass es an seinem Ende ausgefranst war. Ein Duftgemisch
aus Wein, Kamille und Salbei stieg ihr in die Nase.
Unvermittelt dämmerte es ihr, dass dies eine Art archaisches Zahnpflegeset sein musste, von dem Gero neulich gesprochen hatte.
Die Tür ging auf. Hannah zuckte zusammen und stellte den Becher hastig zurück an seinen Platz, dabei verschüttete sie etwas
von der Flüssigkeit auf dem hellen Holztisch.
Die Dienerin, die ihr eine hellblaue Seidencotte und einen Surcot aus wunderschön gemustertem, dunkelblauem Brokatstoff überbrachte,
störte sich nicht an dem Malheur, sondern wischte es mit einem Lappen, den sie am Gürtel trug, klaglos auf. Entgegen Hannahs
Befürchtung, dass ihr die Kleider nicht passen könnten, regulierte ihre stumme Helferin die Passform mit versteckt angebrachten
Schnüren. Mit geschickten Fingern brachte sie den kittelähnlichen Überwurf erstaunlich perfekt auf Figur. Helle Seidenstrümpfe,
die mit einem Strumpfband befestigt wurden und bis zum Oberschenkel reichten, sowie Schnabelschuhe aus weichem, dunkelblauem
Leder, komplettierten Hannahs fremdartigen Aufzug.
»Ich danke Euch«, sagte Hannah schließlich, nachdem sie all ihren Mut zusammengenommen hatte, die Frau in mittelhochdeutsch
anzusprechen. »Wie ist Euer Name?«
Die Dienerin schaute verblüfft, und Hannah befürchtete bereits, dass sie etwas Falsches gesagt haben könnte. Plötzlich stieß
die Frau einen undefinierbaren Laut aus, doch erst als sie ihre Lippen öffnete und eine halb abgeschnittene, jedoch gut verheilte
Zunge zutage trat, begriff Hannah, den wahren Grund ihrer Sprachlosigkeit.
Erschüttert wich sie zurück. Jedoch die Dienerin schien amüsiert |569| und brach in ein kehliges Gekicher aus, was die ganze Situation nur noch unwirklicher erscheinen ließ.
Hastig raffte Hannah ihren Surcot. Sie wollte nur noch hinaus, Gero sehen oder Anselm oder irgendjemanden, der sie aus diesem
Alptraum erlöste.
Dass ihre mittelalterliche Kleidung erhebliche Tücken hatte, bemerkte sie erst, als sie in abenteuerlicher Weise die Wendeltreppen
hinunter stolperte. Mit hoch gerafftem Kleid und Schuhen, deren Spitze umknickten, wenn man nicht Acht gab, erreichte sie
halbwegs unversehrt die respektable Empfangshalle der Burg, die gleichzeitig als Rittersaal diente. Dort drängten sich etliche
Menschen, und für einen Moment versuchte Hannah die aufkommende Panik zu unterdrücken,
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