Das Rätsel der Templer - Roman
weil ihr alles so fremd erschien und
sie auf Anhieb niemanden sah, den sie kannte. Unter der schwarzen Holzbalkendecke reihten sich verschiedene Wappenschilder,
welche wohl die weit verzweigten verwandtschaftlichen Beziehungen des Hauses Breydenbach aufzeigen sollten. Darunter, in einem
der zahlreichen offenen Kamine, die es hier auf der Burg gab, glimmte ein wärmendes Feuer, das dem Raum zusammen mit zwei
großen, eindeutig orientalischen Wandteppichen eine gewisse Gemütlichkeit verlieh, die auf Hannah bereits am Vorabend beruhigend
gewirkt hatte.
Endlich sah sie Gero. Er stand unter einem eisernen Rundleuchter auf dem Weg zum Ausgang und hatte allem Anschein nach auf
sie gewartet. Statt seines Templerumhangs trug er einen knöchellangen, goldbraunen Surcot und ein blütenweißes Hemd, dessen
Ärmel und Kragen gestärkt worden waren. An den Anblick seiner hochherrschaftlichen Kleidung musste Hannah sich erst noch gewöhnen.
Am liebsten wäre sie ihm erleichtert in die Arme gefallen, aber hier vor all den Leuten war sie gezwungen, sich zurückzuhalten.
Dann sah sie Struan, den Schotten, und dessen liebliche Begleiterin. Auch er trug keine Chlamys, sondern schwarze, eng anliegende
Hosen und einen Wappenrock, mit rotgoldenen Ornamenten bestickt, der bis zu den Knien ging.
In der großen Halle hatte man erneut Tische und Bänke aufgestellt. Riesige Kannen mit Wein und Bier standen für die durstigen
Burgbewohner bereit. Gero lachte befreit, nachdem ihm ein stattlich aussehender Mann mit silberdurchwirktem Bart etwas zugerufen
und er |570| Hannah daraufhin an dessen Tisch geleitet hatte. Der ältere Mann mit seiner erheblichen Leibesfülle war ihr wegen seiner dröhnenden
Stimme bereits am Abend zuvor aufgefallen.
»Jungfer Hannah, darf ich Euch den Vogt der Breydenburg vorstellen?« In Gegenwart seiner Familie sprach Gero sie bewusst in
der dritten Person an, um keinerlei Gerüchte aufkommen zu lassen. Den Vogt duzte er jedoch. »Roland, das ist Hannah de Caillou.
Sie hat mich aufgenommen, nachdem man uns überfallen hatte. Sie hat mich gepflegt und sich um Matthäus gekümmert, als ich
das Bewusstsein verlor.«
Gero bemühte sich, hart an der Wahrheit zu bleiben, obwohl der Vogt ihn mit einigem Zweifel im Blick ansah. Hannah versuchte
sich vorzustellen, was passieren würde, wenn er Uneingeweihten die wirkliche Geschichte offenbarte.
»Roland von Briey.« Der Vogt erhob sich und verbeugte sich trotz seiner massigen Gestalt recht elegant. »Es ist mir eine Ehre,
Jungfer«, sagte er und lachte breit. »Ich durfte auch schon mehrmals seinen Arsch retten, somit haben wir etwas gemeinsam.«
Hannah lächelte unsicher.
»Er hat mir das Reiten beigebracht und den Schwertkampf«, raunte Gero ihr zu.
Mit einem Schmunzeln, das seine Wiedersehensfreude verriet, bedeutete er, dass sie getrost neben Roland Platz nehmen durfte.
Der Vogt schenkte sich aus einer riesigen Kanne, die mitten auf dem Tisch stand, einen Krug Bier ein und leerte ihn in einem
Zug. Seine rosafarbene Zungenspitze befreite den dichten, rötlichen Schnurbart, der Hannah an ein Walross erinnerte, geschickt
von dem verbliebenen Schaum.
»Wein?« fragte Gero, auffällig um Hannah bemüht.
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht so früh am Morgen.«
Roland sah sie verdutzt an.
»Milch? Oder Kräutersud?«, fragte sie verlegen, als ihr bewusst wurde, dass sie weder auf ihre Aussprache noch auf die Wortwahl
geachtet hatte.
Gero stand auf, um sich auf die Suche nach einem Krug heißer Milch zu begeben.
»Ihr seid wohl nicht von hier«, resümierte Roland von Briey mit vollem Mund, nachdem er sich mit seinem Dolch ein Stück von
der |571| Blutwurst abgeschnitten hatte, die sich neben einem großen Laib Brot in mehreren verschlungenen Ringen auf einer Platte direkt
vor ihm auftürmte.
»Warum trinkt ihr Kräutersud zum Frühessen?«, setzte er nach, als er nicht sogleich eine Antwort erhielt. »Fehlt Euch etwas?
Ihr seht gar nicht siechend aus?«
»Nein, nein«, antwortete Hannah und schlug die Augen nieder. »Es geht mir gut.« Einen Versuch war es wert. Vielleicht ließ
der Vogt sie in Ruhe, wenn sie sich schüchtern gab. Bisher hatte es mit Gero kaum Absprachen gegeben, welche Geschichte sie
über ihre und Anselms Herkunft erzählten sollten.
Roland schmatzte genüsslich und tunkte das verbliebene Stück Wurst erneut in einen Topf mit Senf, während er Hannah immer
noch interessiert beobachtete.
Von
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