Das Rätsel der Templer - Roman
Tränen erstickten seine Kehle, bevor er noch etwas zu sagen
vermochte.
»Allmächtiger«, murmelte Arnaud fassungslos, »du kannst mir all |651| meine Kraft nehmen.« Während er weiter sprach, bebten seine Lippen so stark, dass seine struppigen Schnurbarthaare erzitterten.
»Aber bitte nimm mir nicht meinen Verstand.«
»Ich bin’s wirklich, Arnaud«, presste Gero mit erstickter Stimme hervor und hob seine Fackel, damit ihn der provenzalische
Bruder besser erkennen konnte.
»Um Gottes heiligen Willen«, stieß Arnaud immer noch ungläubig hervor. »Du bist es! Was in aller Welt tust du hier?« Sein
Blick streifte das braunschwarze Ordensgewand, das Gero trug, und immer noch schien er zu zweifeln.
Die Erklärungen, die Gero ihm gab, waren kurz, und Arnaud schien nicht alles zu verstehen. Trotzdem drückte ihm Gero eine
Phiole in die Hand. »Habe keine Angst, Bruder«, meinte er beschwörend. »Trink den ganzen Inhalt morgen nach dem Frühessen,
und dann warte einfach ab, was geschieht.«
»Frühessen?«, flüsterte Arnaud und grinste fatalistisch. »Ich habe seit Wochen nichts mehr gegessen, das diese Bezeichnung
verdient. Nein, Gero, ich habe keine Angst.« Er hob den Kopf und schaute sich um. »Schlimmer als unter diesen Umständen in
seiner eigenen Scheiße zu verrecken, kann’s ja wohl nicht kommen. Selbst der Tod wäre eine Erlösung.«
»Sprich nicht so, Bruder«, erwiderte Gero. »Wo steckt unser Komtur?« Die Furcht, Henri d’Our könnte nicht mehr am Leben sein,
ließ seine Stimme beben.
»Er sitzt zwei Zellen weiter«, flüsterte Arnaud. »Nachdem sie Francesco fast zu Tode gefoltert haben, hat man uns vor ungefähr
zwei Wochen in einem Gang zusammengelegt. Allerdings ist es uns verboten, miteinander zu sprechen.«
»Francesco?« Gero verschluckte sich beinahe an dem Wort.
»Keine Sorge«, beschwichtigte ihn Arnaud. »Er lebt. Sie haben ihn freigelassen. Seine Mutter und seine Schwester durften ihn
mit nach Navarra nehmen. Aber frag mich nicht warum. Der Alte muss irgendeinem Ultimatum zugestimmt haben, das dieser Tage
abläuft. Du kommst also keinen Tag zu früh.«
»Wer ist sonst noch alles hier?«
»Außer d’Our nur noch Stephano de Sapin. Er sitzt direkt nebenan. |652| D’Our am Ende des Gangs. Alle anderen hat man nach Troyes geschafft. Und falls du es noch nicht weißt, unseren Großmeister
hat man nach Corbeil verschleppt. Vor zwei Wochen hat er angeblich die Schuld des Ordens gestanden. Sie haben ihn zusehen
lassen, wie man zwei unserer Brüder aus Payens bei lebendigem Leib die Haut über die Ohren gezogen hat. Da konnte er wohl
nicht anders.«
Gero schluckte. Vor Entsetzen hatte es ihm die Sprache verschlagen. Nicht nur weil die Umstände so grauenerregend waren, sondern
auch weil alles zutraf, was er in Hannahs Büchern gelesen hatte.
Für einen Moment hielt Arnaud inne und massierte sich schmerzerfüllt den linken Arm. »Streckbank«, erklärte er keuchend, als
er Geros fragenden Blick bemerkte.
»Das habt ihr alles mir zu verdanken«, murmelte Gero verzweifelt.
»Was redest du da für einen Schwachsinn, Bruder«, schimpfte Arnaud leise. »Woher solltest du wissen, was geschieht?«
Gero ersparte sich und Arnaud eine Antwort.
»Was hast du vor?«, fragte Arnaud so leise, dass selbst Gero es fast überhört hätte. »Sind noch mehr unserer Brüder dort draußen?«
»Nur Struan und Johan«, flüsterte Gero. »Aber hab Vertrauen«, beschwichtigte er den provenzalischen Bruder, als er dessen
zweifelnde Miene sah. »Wir werden es schaffen, euch mit Gottes Hilfe aus diesem Loch zu befreien.«
Arnaud hob müde den Arm.
»Wie verabredet«, sagte Gero nur, als er kurz darauf auf Knien aus der Zelle hinaus in den Gang kroch und die Tür hinter sich
zuzog.
Hastig zog er sich die Kapuze über den Kopf und richtete sich mühsam auf. Dann führte ihn der Wächter zu Stephano de Sapin,
den man nicht weniger übel zugerichtet hatte als Arnaud.
Erst danach wurde Gero zur Zelle seines Komturs geleitet. Anders als Arnaud und Stephano hockte Henri d’Our nicht im hintersten
Winkel seiner Zelle, sondern hatte sich in der Nähe der Gitterstäbe zum Gang hin eingerichtet.
»Ich bringe Euch einen neuen Beichtvater«, sagte der Kerkerwächter mit spöttischer Stimme. »Bruder …« Der Mann hielt inne,
weil ihm auffiel, dass er nicht einmal den Namen des Ersatzbruders aus Fontevrault kannte.
|653| »Gerard«, kam ihm Gero zu Hilfe und sprach
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