Das Rätsel der Templer - Roman
Freya,
die nun vollkommen mutlos wirkte. Aus den Augenwinkeln konnte Hannah sehen, dass der narbengesichtige Ordensbruder offenbar
einen ähnlichen Kampf ausfocht wie Gero zuvor. Ein letztes Mal wiegte er Freya zärtlich im Arm und streichelte über ihr rotes
Haar, bevor er sie innig küsste.
Hannah verspürte eine tiefe Niedergeschlagenheit, als Freya wenig später schluchzend hinter ihr aufsaß. Doch ihr Hauptaugenmerk
galt Matthäus, der sich in soldatischer Haltung von Gero zu verabschieden versuchte, während der Templer ihn unvermittelt
in seine Arme zog, |711| um ihn noch ein letztes Mal fest an sich zu drücken. Mit angehaltenem Atem beobachtete Hannah, wie Gero den Jungen hinter
Anselm aufs Pferd setzte. Während dem Knappen Tränen über die Wagen rollten, gab Gero dem Pferd einen Klaps auf die Schenkel.
Irgendwo im Nebel war das Heulen und Bellen einer Hundemeute zu hören. Es wurde höchste Zeit aufzubrechen.
Wie betäubt registrierte Hannah die Bewegungen ihrer Stute, die ganz von alleine in einen langsamen Trab verfiel. Ein Blick
zurück verriet ihr, dass die verbliebenen Männer ausnahmslos gerüstet waren, selbst die schwer verletzten Brüder. Arnaud lächelte
ihr ein letztes Mal wehmütig zu. Sie senkte den Kopf, um dann doch noch einmal zurückzuschauen. Regungslos stand Gero da,
das Gesicht wie versteinert, und sah ihr nach.
Anselm trieb seinen Wallach einen Feldweg entlang. Hannah hielt sich erstaunlich wacker, dabei nahm sie alles nur noch wie
in einem schmerzhaften Rausch wahr. So musste es sich anfühlen, wenn man langsam verrückt wurde.
Nach etwa einer Viertelmeile erreichten sie ein Dorf. Kleine Fachwerkhäuser mit strohbedeckten Dächern, die morastigen Wege
waren menschenleer. Ein paar Hühner liefen umher, und ein Hund bellte.
Obwohl niemand zu sehen war, entschied sich Anselm, das Dorf zu umgehen. Er wollte nicht, dass sich später jemand an sie erinnerte
und Auskunft über sie geben konnte. Während sie einen Teich passierten, scheuchten sie ein junges Pärchen auf. Die beiden
Liebenden, die keinen Tag älter als fünfzehn waren und es sich hinter einem verwitterten Entenhaus gemütlich gemacht hatten,
flüchteten halbnackt in ein nahes Gebüsch.
Hannahs Pferd machte einen Satz, doch es gelang ihr, das Tier sofort wieder zu beruhigen. Als sie sich jedoch vergewisserte,
ob Freya das plötzliche Ausweichmanöver gut überstanden hatte, musste sie feststellen, dass die Begine nicht mehr hinter ihr
saß.
»Anselm, warte!«, rief sie alarmiert. Mit einem Ruck wendete sie das Pferd.
Freya hockte unweit entfernt im feuchten Gras und rührte sich nicht.
|712| »Hast du dir wehgetan?« Hannah stieg von ihrer Stute ab.
Das Beginenmädchen schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich gehe nicht mit euch mit.«
Anselm war von seinem Wallach gestiegen und hatte Matthäus die Zügel überlassen. Dann kniete er sich vor Freya ins Gras und
ergriff ihre Hände. Du kannst uns nicht alleine ziehen lassen. Wir kennen uns hier überhaupt nicht aus. Ohne dich schaffen
wir es vielleicht nicht.«
»Tut mir leid«, flüsterte Freya, während sie vor sich hinstarrte. »Ich gehe nicht ohne Johan. Und wenn ich hier sitzen bleibe
bis zum Jüngsten Gericht.«
»Das kann ziemlich lange dauern«, bemerkte Anselm mit einem Zwinkern. »Glaub mir, die nächsten siebenhundert Jahre tut sich
in der Sache nichts.«
»Anselm!« Hannah schüttelte verständnislos den Kopf, während sie sich bückte und Freya über die Schulter strich.
Die Begine sah sie mit traurigen Augen an. »Ich habe schon zu viel verloren, als dass ich es ein weiteres Mal ertragen könnte,
einen Menschen zu verlieren, den ich liebe. Wenn er stirbt, habe ich niemanden auf der Welt.« Tränen liefen über ihre bleichen
Wangen.
»Ach Freya«, versuchte Hannah es noch einmal. »Was redest du? Gero hat doch versprochen, dass sie nachkommen werden, sobald
es möglich ist.«
Freya sah sie beinahe mitleidig an. »Das hat er dir gesagt«, erwiderte sie leise. »Sein Komtur hat etwas anderes verraten.«
Hannah schaute Anselm verwirrt an. »Was meint sie damit?«
Anselm räusperte sich verlegen.
»Was?«, herrschte Hannah ihn an.
»Sie hat recht«, gab Anselm zerknirscht zu. »So wie ich d’Our verstanden habe, sieht es nicht danach aus, als ob irgendeine
Chance besteht, dass sie uns folgen könnten.«
Für einen Moment hatte Hannah das Gefühl, als ob ihr jemand mit einem Holzbalken vor den
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