Das Rätsel des Orakels - Die Zeitdetektive ; 8
neben Theodorus auch Leon, Julian und der Mann, der das Orakel befragen wollte, warteten.
Nun ertönte wieder Theodorus’ Stimme hinter dem Vorhang, diesmal jedoch laut und klar: „Ich, Priester von Delphi, der Apollon geweihten heiligen Stätte, frage dich, großer Gott Apollon, im Namen von Archilochos, dem Schmuckhändler: Wird sein Schiff sicher den Hafen von Athen erreichen?“
Die Pythia reagierte zunächst überhaupt nicht. Fast schien es Kim, als habe Thargelia die Frage gar nicht registriert. Ihr Gesicht blieb so regungslos wie ihr ganzer Körper.
Eine Minute verstrich, in der Totenstille herrschte. Kim wagte kaum zu atmen.
Unvermittelt schlug die Pythia die Augen auf. Ihre Lippen bebten, als wolle sie etwas sagen. Doch Thargelia blieb stumm. Ihr Körper begann zu zittern, ihre Hände schossen vor, griffen in die Schale und schlossen sich fest um die beiden Bohnen. Nun legte die Pythia den Kopf in den Nacken. Sie riss den Mund auf und begann zu keuchen. Ein Krampf schüttelte ihren Körper, als habe Thargelia starkes Fieber. In ihre Augen trat ein merkwürdiger Glanz, dann bahnten sich Tränen ihren Weg über ihre bleichen Wangen. Sie streckte die linke Hand aus, öffnete sie und ließ die schwarze Bohne auf den Boden fallen. Die rechte Hand mit der weißen Bohne streckte sie hoch in die Luft.
„Apollon hat gesprochen!“, rief Korobios in diesem Moment. „Es ist die weiße Bohne. Die Antwort lautet: Ja!“
Ein unterdrückter Jubelschrei drang hinter dem Vorhang hervor. Korobios ging zu dem Vorhang und zog ihn ein Stück zur Seite. Dann wechselte er ein paar Worte mit Theodorus.
Kim sah wieder zur Pythia. Thargelia war auf dem Dreifuß zusammengesackt und sah aus, als schliefe sie.
Am Abend saßen die Freunde in ihrer Kammer. Bei vier weiteren Orakelbefragungen hatten sie noch assistieren dürfen. Doch nun waren die Tore zum Heiligtum fest verschlossen. Die Kinder waren in ihr Zimmerchen geschickt worden. Hier war es stickig. Durch das kleine Fenster kam kaum frische Luft hinein.
„Hast du gesehen, wie dick die Geldbeutel waren, die Korobios jedes Mal in Empfang genommen hat?“, fragte Leon. „Kein Wunder, dass die Schatzhäuser so gut gefüllt sein sollen.“
Julian nickte. „Allerdings, mit dem Orakel scheint sich viel Geld verdienen zu lassen. Möchte mal wissen, wie viele Orakelsprüche tatsächlich zutreffen.“
Kim, die gerade auf ihrer Matte mit Kija spielte, ergänzte: „Der Rauch, den Thargelia eingeatmet hat, muss sie in einen Rauschzustand versetzt haben. Und ich hätte nie gedacht, dass man für ein Orakel ganz normale Bohnen benutzt.“
„Nicht immer“, erwiderte Julian. „Korobios hat doch gesagt, dass Apollon auch durch den Mund der Pythia zu den Ratsuchenden spricht. Und Theodorus hat mir erklärt, dass das vor allem dann passiert, wenn es sich um Fragen handelt, die nicht mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten sind.“
Kim nickte. Sie stand auf und lief in der Kammer auf und ab wie ein Tiger im Käfig. Ihr wollten die Bohnen nicht aus dem Kopf gehen. Schwarz und weiß, schwarz und weiß, schwarz …
Abrupt hielt sie inne und schnippte mit den Fingern. „Ich hab’s!“, rief sie. „Schwarz, die Farbe Schwarz – das ist es!“
Leon und Julian verstanden nur Bahnhof.
„Mensch, Jungs!“, fuhr Kim fort. „Wir haben doch überlegt, wie wir den Hirten Sitalkes überführen können. Und dank der Bohnen habe ich eine Idee: Wir haben doch an der Quelle nicht irgendwelche Wolle gefunden, sondern schwarze! Und schwarze Schafe gibt es nicht oft. Wenn wir also in Sitalkes’ Herde ein schwarzes Schaf finden, dann …“
„Genial!“, stieß Leon begeistert hervor. „Wir müssen noch mal zum Hirten und ihn …“ Er brach mitten im Satz ab und legte einen Finger auf die Lippen. Vom Fenster war ein unterdrücktes Niesen gekommen! Mit einem Satz war Leon dort und spähte hinaus. Gerade noch sah er eine kleine, verhüllte Gestalt, die in der Dunkelheit zum Tempel huschte und dahinter verschwand.
„Mist, man hat uns belauscht!“, zischte Leon.
„Hast du denn gesehen, wer es war?“, fragte Julian atemlos.
Ärgerlich schüttelte Leon den Kopf. „Leider nicht. Aber der Typ war ziemlich klein – so wie Androtion!“ Er sah seine Freunde nachdenklich an. „Ich glaube, wir müssen vorsichtig sein – sehr vorsichtig.“
„Ja“, flüsterte Julian. „Ich möchte nicht plötzlich spurlos verschwinden wie Irini. Und allmählich habe ich das Gefühl, dass man
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