Das Rätsel Sigma
Wie lange brauchen Sie?“
„Ich weiß noch nicht“, sagte Herbert zögernd.
„Na, ungefähr“, wollte der andere wissen. „Ich meine, brauchen Sie mehrere Tage, oder können wir damit rechnen, daß wir heute nacht noch weitermachen können?“
„Auf jeden Fall“, erklärte Herbert entschieden. „Heute abend muß das erledigt werden, egal, was kommt!“
Was nun? Es war klar – um die Ursache der Vergiftung zu finden, müßte er das ganze Feld umkrempeln lassen, einen Schlag von mehreren Quadratkilometern. Überall mußten Bodenproben entnommen werden – chemische, bakteriologische und wer weiß was noch für welche. Er suchte das Agrowissenschaftliche Zentrum des Kreises auf, das gleich nebenan lag. Und hier begannen die Schwierigkeiten.
Hilfsbereit waren zwar alle, mit denen er sprach – aber ihre Möglichkeiten waren beschränkt. Alle, die irgendwie für einen Großeinsatz hätten alarmiert werden können, waren längst alarmiert und an den verschiedensten Stellen wegen des Sturms eingesetzt. Das AWZ konnte allenfalls Proberöhrchen und -container zur Verfügung stellen und ein paar Leute zur Anleitung, versprach jedoch, alles verfügbare Personal zur Untersuchung der Proben zusammenzutrommeln. Der Kreiskatastrophenstab, den Herbert anrief, weigerte sich zunächst hartnäckig und rückte dann doch zwanzig Mann von der Reserve heraus. Und so ging es weiter: Menschen, Fahrzeuge, ein Bulldozer zur Begleitung, der notfalls die Straße von gestürzten Bäumen freiräumen sollte – es dauerte Stunden, bis alles besorgt, verabredet, zusammengestellt war. Mitten im wütenden Tosen des Sturms brach die Kolonne auf, im Schneckentempo, nicht nur wegen des Sturms, auch wegen des Bulldozers, der voranfahren mußte.
Wiebke hörte und sah nichts vom Sturm. In einer bisher unbenutzten Kammer hingen die Bahnen, die sie den ganzen Tag über produziert hatten, nach dem neuen Laserverfahren. Neben ihr stand der Kollege vom Lieferbetrieb, den sie K. O. gegenüber so eifrig geschmäht hatte.
Er war wiedergekommen und hatte eine frische Lieferung Bakterien mitgebracht. Beide hatten eine Stoppuhr in der Hand, beide warteten sie.
Vom frühen Morgen an hatten sie diesen Versuch vorbereitet. Die Kammer war gründlich desinfiziert worden, die Lasertrommel hatte gesummt, allerdings meist von K. O. allein bedient. Und nun sollte sich zeigen, ob der „Störfaktor“, den Herbert gestern abend aus den Kurvenblättern errechnet hatte, in der Plastvermüllung selbst lag oder vom Bakterienhersteller mitgeliefert wurde.
Da – die ersten Foliereste klatschten auf den Boden. Wiebke sah nach der Nummer der Folie, errechnete schnell den reziproken Wert der Zeit und trug ihn in die Tabelle ein, die an der Wand hing, mit einer grünen und einer roten Kurve darauf. Die grüne war die gestern experimentell ermittelte, die rote die von Herbert berechnete theoretische, ohne den Störfaktor. Der jetzt ermittelte Wert lag auf der roten Kurve, genau da, wo der grüne Kurvenberg seinen Krater hatte. „Aha“, sagte der Vertreter des Herstellerbetriebs befriedigt.
Wiebke schwieg.
Klatsch – die nächste Rolle.
Eine Viertelstunde später war schon alles klar. Sie warteten nur noch, weil man einen Versuch eben zu Ende führt. Alle Werte lagen auf der roten Kurve. Der Störfaktor mußte in den Schwemmen der Plastvermüllung zu finden sein. „Ich nehme alles zurück“, sagte Wiebke.
„Oh“, meinte der Kollege vom Lieferbetrieb mit ironischer Freude, „mit soviel Großzügigkeit habe ich gar nicht gerechnet!“
Langsam, viel zu langsam für Herberts Ungeduld, kämpfte sich die Kolonne durch den Sturm. Aber obwohl der Regen etwas nachgelassen hatte und die Sicht besser geworden war – schneller hätte wohl doch langsamer bedeutet, denn schon mehrmals hatte der Bulldozer entwurzelte Bäume von der Straße schieben müssen.
Herbert war beunruhigt. Man hatte ihm über Funk mitgeteilt, daß die Verbindung zu Fred Hoffmeister plötzlich abgebrochen war. Herberts Wagen, in dem auch der Vertreter der Kooperativen Pflanzenproduktion und der Leiter der AWZ-Arbeitsgruppe mitfuhren, war mit Funk ausgerüstet, er konnte deshalb nicht direkt in das Telefonnetz einwählen, sondern nur über den Katastrophenstab versuchen, Freds Weg zu rekonstruieren. So hatte er von Frau Martens telefonisch all die Adressen in Erfahrung bringen lassen, die Fred hatte aufsuchen wollen, aber nach der ersten Adresse schlugen alle Versuche fehl. Entweder hatten
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