Das Rätsel
Schwester.
»Damit geht alles ein bisschen schneller«, sagte der Ranger in sarkastisch langgezogenem Ton. »Nicht wie in den guten alten Zeiten, wo man es zehn Jahre oder länger rauszögern konnte. Selbst wenn man einen Cop getötet hatte.«
»Andererseits ist ein Schnellverfahren nicht so gut, wenn man den falschen Mann erwischt hat«, warf Susan ein.
»Himmel, Miss, das kommt selten vor.«
»Und wenn doch?«
Der Ranger zuckte die Achseln und grinste. »Irren ist menschlich, Ma’am.«
Susan wandte sich ihrem Bruder zu, der den kleinen Schlagabtausch genoss. »Wieso glaubst du, dass der Kerl uns helfen kann?«, wollte sie wissen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob er es tun wird. Vor etwa einem Jahr hat er einem Reporter von den
Dallas Morning News
ein Interview gegeben und gesagt, er wollte mich umbringen. Der Reporter hat mir eine Kopie von der Videoaufzeichnung geschickt. War ein Festtag für mich, wie du dir denken kannst.«
»Und weil er dich umbringen will, meinst du, dass er dir helfen wird?«
»Ja.«
»Interessante Logik.«
»Für ihn ist das vollkommen logisch.«
»Wird sich ja zeigen. Und was hoffst du, aus diesem Mann rauszukriegen?«
»Mr. Hart besitzt eine Eigenschaft, die er, wie ich glaube …« Jeffrey zögerte und suchte nach dem richtigen Wort, »mit unserer Zielperson gemein hat«.
»Und das wäre?«
»Er hat sich einen besonderen Ort geschaffen. Eine Tötungsstätte. Und ich glaube, der Mann, den wir jagen, hat sich auch irgendwo was Ähnliches eingerichtet. Das ist ein ungewöhnliches, aber nicht einmaliges Phänomen. Die forensische Literatur gibt über solche Orte nicht viel her. Ich will nur wissen, wonach ich zu suchen habe und wie – und dieser Mann kann es uns vielleicht sagen.«
»Wenn er will.«
»Das ist richtig. Wenn er will.«
Diana trug eine leichte Windjacke gegen die kühle Luft am Morgen, merkte aber bald, dass die Sonne schon hoch genug stand, um die Kälte der Nacht zu vertreiben. Sie hatte noch keinen halben Block zurückgelegt, als sie den Anorak auszog und sich mit den Ärmeln um die Taille band. Sie hatte einen kleinen Rucksack mit ihrem Ausweis, einem Schmerzmittel, einer Flasche Mineralwasser und der Magnum .357 umgeschnallt. In der Hand hielt sie den Brief mit der Wegbeschreibung.
Rechts sah sie ein paar Kinder auf dem Spielplatz tollen. Sie blieb eine Weile stehen, um ihnen zuzusehen, und ging dann weiter. Sie wirbelte bei jedem Schritt kleine braune Staubwölkchen auf. Links von ihr kam eine junge Frau mit einem Tennisschläger aus dem Haus. Diana schätzte sie auf das gleiche Alter wie ihre Tochter. Die Frau sah sie und winkte ihr kurz zu, als würden sie sich kennen. Ein vertrauter Moment zwischen Fremden. Diana winkte zurück und lief weiter.
Am Ende der Straße bog sie, wie es in der Beschreibung stand, nach rechts ab. Sie sah ein braunes Straßenschild und wusste, dass sie tatsächlich auf dem Donner Boulevard war. Nach wenigen Metern erkannte sie, dass diese Reihenhäuser die letzteSiedlung in der Gegend war und dass der Boulevard ins Leere stieß. Ebenso sah man der Straße an, dass sie im Unterschied zu anderen Straßen lange nicht instand gesetzt worden war. Die Fahrbahn hatte Schlaglöcher; der Bürgersteig, auf dem sie lief, war voller Risse; zwischen den schlecht verfugten Betonplatten wuchs Unkraut.
Diana setzte ihren Ausflug in den Morgen fort, bis sie rechts den unbefestigten Feldweg fand. Wie in dem Brief beschrieben, konnte sie an dieser Stelle bis zum Ende des Donner Boulevard blicken. Die Straße endete in einem Erdhaufen, der an einen Hang geschaufelt war. An einer Barriere mit blinkenden gelben Lampen hing ein großes rotes Schild mit der Aufschrift STRASSE ENDET HIER, eine überflüssige Information.
Sie blieb stehen, schraubte die Flasche Quellwasser auf und nahm einen bescheidenen Schluck, bevor sie sich an den Aufstieg machte. Sie resümierte kurz ihre Befindlichkeit: Sie war ein bisschen außer Atem, aber nicht schlimm. Sie war nicht müde, fühlte sich sogar stark. Sie hatte einen leichten Schweißfilm auf der Stirn, aber nichts, was einen plötzlichen Erschöpfungsanfall ankündigte. Der Schmerz in ihrem Bauch hatte nachgelassen, als gestattete er ihr die Freude des morgendlichen Ausflugs. Sie lächelte und dachte: Er wartet geduldig ab, bis seine Zeit gekommen ist.
Einen Moment lang drehte sie sich in alle Richtungen um und genoss die Einsamkeit und Stille.
Dann trat sie auf den losen, sandigen Boden und machte
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