Das Rätsel
atmen zu können. Er starrte durch die Windschutzscheibe und sah, dass der Morgen die Welt inzwischen ganz erobert hatte. Jeder Stein, jederBusch, jede kleine Furche in der Erde, die ihm im Dunkeln und im Zwielicht so tückisch erschienen war, gab sich jetzt unter der milden Morgensonne klar und deutlich zu erkennen.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte er und streckte die Hand so weit, wie es ging, nach unten in Richtung seines Revolvers. Er hob unmerklich das Knie, um den Abstand zwischen Hand und Waffe zu verringern. Er dachte daran, mit der Linken nach der Klinge zu greifen, während er die entscheidende Bewegung machte. Er rechnete damit, einen Schnitt abzubekommen, doch wenn er schnell und unerwartet handelte, war es vielleicht nicht tödlich. Er bewegte die Finger und spannte die Muskeln, um sich für die Explosion zu wappnen.
»Was ich von Ihnen will, Detective? Ich möchte, dass Sie eine Botschaft überbringen.«
Martin schwieg einen Moment. »Was?«
»Ich möchte, dass Sie meinem Sohn eine Nachricht überbringen. Wie auch meiner Tochter und meiner Exfrau. Meinen Sie, dass Sie das tun können, Detective?«
Martin war erstaunt. Er schöpfte Hoffnung.
Er lässt mich am Leben!
»Sie wollen, dass ich eine Botschaft überbringe …«
»Sie sind der Einzige, dem ich diese Aufgabe anvertrauen kann, Detective. Sehen Sie sich dazu in der Lage?«
»Eine Nachricht zu überbringen? Natürlich.«
»Gut. Ausgezeichnet. Halten Sie Ihre linke Hand hoch, Detective.«
Martin gehorchte. Ein großer weißer Briefumschlag schob sich zwischen seine Finger.
»Nehmen Sie den«, wies ihn der Mörder an. »Gut. Halten Sie ihn fest.«
Wieder gehorchte Martin. Er packte den Briefumschlag undwartete auf weitere Instruktionen. Es vergingen ein, zwei Sekunden, in denen er hinter sich auf dem Rücksitz das vertraute Klicken seiner eigenen Waffe hörte, als eine Kugel in die Kammer der Halbautomatik geschoben wurde.
»Ist das die Botschaft, die ich überbringen soll?«
»Ein Teil davon«, erwiderte der Mörder. »Da wäre noch etwas.«
18. KAPITEL
Frühsport
Diana war von den leisen Geräuschen aufgewacht, die ihre Tochter machte, als sie noch vor dem Morgengrauen aufstand – von der Dusche, dem Hantieren in der Küche, dem sorgfältigen Schließen der Haustür. Ein paar Sekunden lang hatte sie darüber nachgedacht, Susan bis zu ihrer Abfahrt Gesellschaft zu leisten, doch die Möglichkeit, noch ein bisschen zu schlafen, war zu verführerisch gewesen; sie hatte sich mit einem Seufzer auf die Seite gerollt und war erst mehrere Stunden später aufgewacht. Sie träumte glücklich davon, noch einmal Kind zu sein.
Die ältere Frau hatte in dem Stadthaus das Elternschlafzimmer übernommen. Sie schwang die Beine über die Bettkante, wackelte mit den Zehen und rekelte sich, bevor sie sich eine Decke um die Schulter legte und barfuß auf den kleinen Balkon tappte.
Eine Weile blieb sie stehen und atmete die Morgenluft ein. Sie war schneidend kalt. Trotz der Windstille drang sie ihr durch das dünne Nachthemd, so dass Diana eine Gänsehaut bekam. In der ersten Wintersonne nahm die Welt vor ihren Augen klare Konturen an; das hatte sie im feuchtwarmen Florida vermisst. Sie roch die Berge in der Ferne und sah die großen Kumuluswolken am blauen Himmel, die mit dem Jetstream ostwärts wanderten, als suchten sie einen Ruheplatz auf den schneebedeckten Gipfeln.
Sie zitterte und dachte: Hier könnte ich mich zu Hause fühlen.
Diana sog die Luft in tiefen Zügen ein, als wäre sie Medizin. Sie ließ den Blick über das Gelände schweifen. Das Haus lag nicht hoch genug, als dass man die Stadt hätte erkennen können. Stattdessen sah sie das abschüssige Gelände hinter dem hohen Zaun und dem Graben, in denen sich braune Erde mit grünem Gestrüpp abwechselte. Sie lauschte, hörte Stimmen und den rhythmischen, eher zarten als beherzten Aufschlag von Tennisbällen und schätzte, dass die Frauen des Viertels zum Frühsport draußen waren.
Diana stand einfach da und lauschte, wobei ihr auffiel, wie seltsam still es war. Selbst auf den Keys herrschte immer Lärm; die Laster auf dem Highway 1, die schwertförmigen Zweige der Palmen, die sich gegen die Brise sträubten. Sie hatte angenommen, auch die übrige Welt wäre ständig laut. Jedenfalls galt das schon einmal für Miami und die anderen großen Städte. Verkehr, Sirenen, Schüsse, Wutausbrüche bis zur Raserei. In der modernen Welt, dachte sie, stand Krach für Gewalt.
Doch an diesem
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