Das Rätsel
diese Auskunft nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, und so wechselte er nur nervös die Stellung, ohne aufzustehen. Es kostete ihn einiges an Willenskraft, nicht aus dem kleinen Raum zu flüchten.
Dem Mörder war nicht aufgefallen, dass Jeffrey heftig atmete, dafür aber seiner Schwester, auch wenn sie sich nicht zu ihm umdrehte, um Hart nicht darauf zu stoßen. Stattdessen platzte sie heraus: »Sie brauchten also Sicherheit und Isolation. Was noch?«
Hart beäugte sie. »Privatsphäre, Susan. Vollkommene Privatsphäre.« Er lächelte. »Man muss sich konzentrieren können und hundert Prozent sicher sein, dass man ungestört bleibt. Deine ganze Aufmerksamkeit, deine ganze Kraft, dein ganzes Sein ist auf diesen einen Ort gerichtet. Habe ich nicht recht, Professor?«
»Ja.«
»Sehen Sie, Susan, es geht um einen ganz besonderen Moment. Er ist einmalig. Mächtig. Überwältigend. Alles in einem verdichtet sich in diesem Moment. Er gehört dir und ihr und niemandem sonst. Aber zugleich weiß man, dass das, was man vollbringen will, wie alle großen Leistungen in der langen und mühseligen Geschichte unserer Welt voller Gefahren ist; Körperflüssigkeiten, Fingerabdrücke, Haarfasern, DNA-fähiges Material – all diese kleinen Details, die von der Polizei so gewissenhaft bei jedem Fall eingesammelt werden. Demnach muss der Ort so beschaffen sein, dass man dies alles unter Kontrolle hat. Andererseits soll das Abenteuer nicht, hm … zu steril werden. Das würde die Spannung verderben.«
Wieder legte Hart eine Pause ein und zog eine Augenbraue hoch. »Verstehen Sie das alles, Susan? Verstehen Sie, was ich meine?«
»So allmählich.«
»Sie spielen nach ihrer eigenen Melodie«, sagte der Mörder.
Susan nickte, doch Jeffrey saß plötzlich kerzengerade.
»Sagen Sie das noch einmal«, forderte er Hart auf.
Hart sah ihn an. »Was?«
Doch diesmal winkte Jeffrey nur ab. »Nein, nein, schon gut.« Er stand auf und hob die Hand Richtung Spiegel. »Wir sind fertig. Danke, Mr. Hart.«
»Ich bin noch nicht fertig«, erklärte Hart langsam. »Wir sind fertig, wenn ich es sage.«
»Nein«, widersprach Jeffrey. »Ich habe, was ich brauche. Ende des Interviews.«
Einen Moment lang traten die Augen des Mörders stark hervor, und Susan schreckte fast vor diesem plötzlichen Hass zurück.
Die Handschellen rasselten in der Metallhalterung. Zwei stämmige Gefängniswärter betraten den Raum. Sie warfen beide einen Blick auf den verspannten Mann am Tisch, der vor Wut fast zu bersten schien, und einer von ihnen ging zu einer Gegensprechanlage an der Wand, um in nüchternem Ton eine »Sondereskorte« anzufordern. Dann wandte er sich an die Claytons und sagte: »Er scheint erregt zu sein. Wäre vielleicht besser, wenn Sie beide zuerst gehen würden.«
Susan sah, wie an der Stirn des Mörders eine Ader vorstand. Er war zusammengesackt, doch seine Nackenmuskeln waren verhärtet.
»Was habe ich gesagt, Professor?«, fragte Hart. »Ich dachte, ich wäre vorsichtig.«
»Sie haben mich auf was gebracht.«
»Auf was gebracht? Professor«, Hart hob kaum merklich den Kopf, »wir sehen uns in der Hölle.«
Jeffrey legte seiner Schwester eine Hand auf den Rücken und schob sie beinah aus der Tür. In dem angrenzenden Korridor sah sie eine etwa sechsköpfige Gruppe Wärter mit Schlagstöcken, Schutzhelmen mit getöntem Visier und Splitterschutzwesten in ihre Richtung kommen. Die Stahlspitzen ihrer Stiefel klackten auf dem gewachsten Linoleum.
»Mag sein«, erwiderte Jeffrey und drehte sich noch einmal um. »Aber Sie kommen schneller hin als ich.«
Hart kicherte wieder, doch diesmal klang es freudlos. Susan stellte sich vor, dass dies das Letzte war, was eine Reihe junger Frauen auf dieser Erde zu hören bekommen hatten.
»Darauf würde ich mich nicht verlassen«, gab er zurück. »Ich könnte mir denken, dass Sie schon unterwegs sind. Beeilen Sie sich, Professor, ein bisschen hopp, hopp!«
Die Wärter drängten sich an ihnen vorbei in den Raum.
»Nichts wie raus hier«, meinte Jeffrey und packte Susan am Ellbogen, um sie durch den Flur zu geleiten. Hinter ihnen ertönte ein gewaltiges Wutgebrüll und mehrere sehr laute Stimmen. Ein paar Obszönitäten flogen durch die Luft, dann hörte man das Geräusch von um sich tretenden Füßen am Boden und das dumpfe Aufeinanderprallen von menschlichen Körpern. Sie hörten noch einen Schrei, eine Mischung aus Wut und Schmerz.
»Sie haben ihn betäubt«, erklärte Jeffrey.
Als sie
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