Das Rätsel
betonen, Professor!«
»Ja, das kann ich verstehen …«
»Dann stellen Sie sich mal vor, welche Wirkung
das
hier haben wird!«
Damit schob Manson das Blatt Papier, das mitten auf seinem Schreibtisch lag, mit einer heftigen Bewegung Jeffrey entgegen.Es flatterte einen Moment in der Luft, doch Jeffrey fing es auf, bevor es wegfliegen konnte.
Das Blatt war ein an den Direktor gerichteter Brief.
Mein lieber Direktor,
im Oktober 1888 schickte Jack the Ripper George Lusk, dem Vorsitzenden des Bürgerwehrausschusses von Whitechapel, ein kleines Präsent, nämlich ein Stück menschliche Leber. Ich nehme an, dass er damit seiner Botschaft, wie immer sie lauten mochte, starken Nachdruck verliehen hat. Weiterhin schickte Jack the Ripper zu seiner Kurzweil einen Brief an eine der renommiertesten Zeitungen in der Fleet Street, in dem er versprach, ihnen ein Ohr seines nächsten Opfers zuzusenden. Dieses Versprechen hielt er allerdings nicht, auch wenn kaum zu bezweifeln ist, dass es ihm ein Leichtes gewesen wäre, hätte er nur gewollt.
Sein Brief an die Zeitung, sein Geschenk an Mr. Lusk hatten beide zusammen die zu erwartende Wirkung. Ganz London war in wilde Angst und Panik versetzt. Es gab kaum noch ein anderes Thema: der Ripper und was er als Nächstes plante. Interessant, meinen Sie nicht?
Malen Sie sich also selbst aus, welche Wirkung die folgenden Namen und Daten hätten, wenn ich sie an die richtige Washington Post – und nicht dieses Feigenblatt der Staatssicherheit hier in New Washington – oder die New York Times und vielleicht an ein, zwei Fernsehanstalten schicken würde. Genau das habe ich in Bälde vor.
Das Verblüffende an diesem Brief ist, dass er keine Drohung enthält. Ebenso wenig ist er der plumpe Versuch einer Erpressung. Sie haben nichts, was ich mir wünsche. Zumindest nichts, womit Sie mich kaufen können. Er soll Ihnen lediglich vor Augen führen, wie ohnmächtig Sie in Wahrheit sind.
Vielleicht erinnern Sie sich auch daran, dass man den Ripper nie gefasst hat. Und doch weiß heute jeder, wer er ist.
Unter dieser letzten Erklärung standen neunzehn Namen von jungen Frauen, jeweils gefolgt von einer Auflistung des Jahres, Monats und Tages ihres Verschwindens sowie des Orts, an dem sie zum letzten Mal von jemand anderem als dem Mörder gesehen worden waren. Doch bevor Jeffrey alle Namen der Liste durchgehen konnte, wanderte sein Blick unwillkürlich zum letzten Eintrag.
Am Ende der Liste stand ein zwanzigster Name in großen Druckbuchstaben: PROFESSOR JEFFREY CLAYTON, UNI VERSITÄT MASSACHUSETTS. Mit einem Sternchen versehen stand darunter die sarkastische Bemerkung: ORT UND DATUM NOCH UNBEKANNT.
Manson musterte Jeffreys Gesicht genau. »Ich vermute, der letzte Eintrag stellt für Sie einen zusätzlichen Ansporn dar«, meinte er trocken.
Jeffrey antwortete nicht.
»Mir scheint, dass wir uns beide einer akuten Bedrohung gegenübersehen«, fuhr Manson fort, »die in Ihrem Fall noch ein persönliches, besonders provozierendes Element enthält.«
Jeffrey wollte etwas entgegnen, doch der Direktor der Staatssicherheit fiel ihm ins Wort. »Oh, ich weiß, was Sie sagen wollen. Sie werden wieder damit drohen, einfach die Flucht zu ergreifen. Mir sagen, das sei die Sache nicht wert. Lieber sähen Sie zu, dass Sie wegkämen. Schnappen sich Ihre Mutter und Ihre Schwester und versuchen, wieder unterzutauchen. Aber man muss Ihren alten Herrn durchaus auch bewundern, sosehr man ihn hasst – wie den Ripper, nehme ich an. Denn indem er Sie auf die Liste setzt, sät er, egal, was seine tatsächlichen Absichten sind, einen interessanten Zweifel in IhremKopf. Und zwar für immer, nicht wahr? Ich meine, egal, wo Sie sich verstecken, werden Sie sich jedes Mal, wenn die Post kommt, das Telefon klingelt oder es an der Haustür klopft, fragen, ob er es ist, nicht wahr?«
Der Direktor schüttelte den Kopf und fuhr fort. »Ziemlich leicht zu durchschauen, aber wirkungsvoll. Wenn er tatsächlich diesen Brief abschickt – und Sie ihn nicht finden –, nun ja, dann ist Ihre berufliche Laufbahn mehr oder weniger am Ende, oder sehe ich das falsch?«
»Ja«, erwiderte Jeffrey nach einiger Zeit. »Ich vermute, ja.«
»Und ich stelle noch etwas fest«, setzte der Direktor seine Überlegungen fort. »Ihr Vater spielt gern auf der psychologischen Klaviatur, nicht wahr? Ich meine, wenn er Sie auf dieser Liste plaziert und diese an die Öffentlichkeit bringt, dann bestimmt er mehr oder weniger über den Rest Ihres Lebens.
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