Das Rätsel
fragen, kommt die hier weg.«
9. KAPITEL
Das gefundene Mädchen
Die beiden Männer machten sich auf den Weg zu dem felsigen Vorgebirge, in dem vor einigen Monaten die Leiche der jungen Frau Nummer drei gefunden worden war, Richtung Norden durch den Einundfünfzigsten Bundesstaat. Jeffrey Clayton lauschte auf das rhythmische Klopfen der Reifen, wenn sie über die Sensoren in der geteerten Straße rollten. Sie fuhren schnell, obwohl ihre Geschwindigkeit ebenso wie ihre Route auf einer fernen, computergesteuerten Karte des gesamten bundesstaatlichen Straßennetzes registriert war. Doch niemand griff ein. Agent Martin hatte bei ihrer Abfahrt dem Hauptquartier einen speziellen Code durchgegeben, und so schwebte kein Hubschrauber der Staatssicherheit auf sie herab, um sie zur Einhaltung der strengstens kontrollierten Geschwindigkeitsbegrenzung aufzufordern.
In regelmäßigen Abständen rasten sie an den Ausfahrten zu bewohnten Gebieten vorbei. Diese neuen Ortschaften beschworen mit Namen wie Victory, Success und Happy Valley eine aggressive Aufbruchstimmung oder aber mit Wind River und Deer Run die Vorstellung von einem sauberen Leben an der frischen Luft, entworfen von einem Planer am Reißbrett. Die jeweilige Abzweigung zu diesen Wohngegenden wurde mit einem eigenen Schild in unterschiedlichen Farben angekündigt. Irgendwann fragte Clayton nach dem Grund.
»Ganz einfach«, erwiderte Agent Martin. »Andere Farbesteht für eine andere Häuserkategorie. Der Staat verfügt über vier Kategorien: gelb für Stadthäuser und Eigentumswohnungen; braun für Eigenheime mit drei oder vier Zimmern; grün für fünf bis sechs Zimmer und blau für größere Anwesen. Geht alles auf ein Siedlungskonzept zurück, das Disney für eine ihrer ersten privaten Städte außerhalb von Orlando ausgeheckt hat – nur ein Stück weiter gedacht.«
Clayton tippte auf einen roten Aufkleber, der das Seitenfenster zierte. »Rot?«, fragte er.
»Das bedeutet ›Freier Zutritt zu allen Bereichen‹.«
Sie kamen an einem grünen Schild vorbei, das auf eine Ortschaft namens Fox Glen verwies. Clayton deutete in die Richtung und sagte: »Zeigen Sie es mir.«
Der Detective brummte etwas und schwenkte scharf in die Ausfahrt ein. »Gute Wahl«, meinte er geheimnisvoll.
Fast augenblicklich waren sie mitten in einer Trabantensiedlung mit großzügigen, von Fichten aufgelockerten Rasenflächen. Durch die Zweige sickerte die Sonne und funkelte hier und da auf der Kühlerhaube eines hochglanzpolierten Autos auf, das in der Einfahrt stand – eine Parade neuester Modelle. In dem Sprühfilm über den Sprinkleranlagen der Gärten bildeten sich kleine Regenbögen. Die geräumigen Häuser verfügten je über vier- bis achttausend Quadratmeter Land und waren von der unscheinbaren Anwohnerstraße ein gutes Stück zurückgesetzt. Mehr als eines war mit einem abgeschirmten Swimmingpool versehen.
Clayton stellte fest, dass bei den Eigenheimen mehrere Architekturrichtungen vertreten waren; er sah Häuser im Kolonialstil, Ranchs und Fincas. Die Häuser waren alle weiß, grau oder beige gestrichen oder mit einer farblosen Lasur versehen, welche die Maserung des Holzes an den Schindelwänden akzentuierte. Dabei gab es innerhalb eines Designs kleinereVaria tionen – ein Innenhof, eine abgeschirmte Veranda oder Rundbogenfenster –, so dass ein Wohnkomplex einheitlich, aber nicht monoton erschien; ähnlich, aber nicht gleich. Oder, dachte er, einmalig, aber nicht sehr, was natürlich ein Widerspruch in sich war, aber die Sache traf. Die Gestaltung dieser Siedlung hielt eine subtile Balance zwischen individuellen Details und dem gleichförmigen Ganzen. Er fragte sich, ob dasselbe auf die Bewohner zutraf.
Es herrschten milde Temperaturen; es war Mittagszeit, und es würde noch ein wenig wärmer werden. Die Wohngegend war ruhig. Zwar beaufsichtigte hier und da eine Frau geduldig kleine Kinder beim Spielen auf den Klettergerüsten und Schaukeln an der Seite der Häuser, doch die Straßen waren menschenleer. Clayton suchte nach Anzeichen von Verfall oder Gerümpel, doch alles schien zu neu. Wenige Häuser blöcke entfernt entdeckte er zwei Frauen in leuchtend bunten Joggingoutfits, die langsam hinter glitzernden Stahlrohr buggys liefen, in denen ihre Babys saßen. Sie waren beide jung, vielleicht in seinem Alter, auch wenn er sich augenblicklich älter fühlte. Die Frauen winkten, als sich ihre Wege kreuz ten.
Noch etwas fiel ihm auf: keine Sicherheitszäune.
»Nicht
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