Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
Vom Netzwerk:
Opfer ihre Würde wiederfanden, wo man sie ihnen
zurückgab. Zwar beraubte man sie ihrer letzten Geheimnisse, aber man kam ihrem
Tod auf die Spur, damit dieser gesühnt wurde.
    »So jung!«, sagte Borger, ernst geworden. »Traurig.«
    Franza nickte und nahm vorsichtig eine Haarsträhne des
Mädchens zwischen ihre Finger. Ein dunkles Braun an der Grenze zum Schwarz. Wie
sie es erwartet hatte.
    »Und ihr wisst immer noch nicht, wer sie ist? Sie fehlt
niemandem?«, fragte Borger und schaute Franza zweifelnd an. Franza schüttelte
den Kopf »Nein, niemandem.«
    »Vielleicht stammt sie nicht aus dieser Gegend. Vielleicht
kommt sie von irgendwo und keiner vermisst sie, weil man sie unterwegs glaubt
in Richtung Urlaub. Schließlich ist das alles auf der Autobahn passiert.
Autobahnen führen in die Ferne.«
    Kurz staunte Franza über Borgers Poesie, dann schüttelte
sie wieder den Kopf. »Ich halte das für unwahrscheinlich. Fährst du in einem
solchen Kleid in den Urlaub? Stundenlang im Auto sitzend? Kann ich mir nicht
vorstellen. Für mich grenzt gerade dieses Kleid unseren Aktionsradius stark
ein. Aber warten wir's ab. Heute ist ihr Bild in der Zeitung.«
    »Wahrscheinlich hast du recht«, sagte Borger. »Fangen wir
an?« Franza nickte.
    »Also«, begann er, »der Tod ist rasch eingetreten,
glücklicherweise, muss man wohl sagen. Die Verletzungen waren absolut tödlich,
da wäre nichts mehr zu machen gewesen. Sie hatte nicht die geringste Chance.«
    Er hielt inne, verharrte einen Augenblick schweigend, fuhr
wieder fort. »Der Wagen muss sie in voller Fahrt getroffen haben, an Becken und
Oberschenkeln haben wir Mehrfachfrakturen, alles kaputt. Außerdem sind einige
innere Organe so gut wie zerstört, das heißt, mehrere Systeme sind
zusammengebrochen, also Total versagen, Polytrauma. Darmriss, Leberriss,
Aortenriss.« Borger verstummte und fuhr sich mit dem rechten Handrücken über
die Stirn. An der Decke summte ein Ventilator. Arthur versuchte sich an die
Luft zu gewöhnen, an den Geruch nach Desinfektionsmittel und Chemikalien und an
dieses Undefinierbare, das im Raum lag, fast schwebte. »Woran ist sie letztlich
gestorben?«, fragte Franza.
    Borger schaute versonnen auf das Mädchen. »Am
Blutverlust«, sagte er dann. »Ein Mädchen ihres Alters hat etwa vier bis fünf
Liter Blut. Die sind schnell weg. Dauert nur ein paar Minuten.«
    Er blickte hoch und in Franzas Gesicht. Es nimmt sie mit,
dachte er, ja, wir werden alle nicht jünger, dieser traurige Zug um ihren Mund
... »Das Blut auf den Steinen am Parkplatz«, sagte sie, »ist also ihr Blut.
Kannst du dazu etwas sagen?«
    Er nickte. »Ja«, sagte er, »da haben wir Glück gehabt.
Dadurch, dass sie nach dem Zusammenstoß mit dem Auto auf diesem Wiesenstück
gelandet ist, haben Kopf und Gesicht nicht allzu viel abbekommen. Es gibt
eigentlich nur diese eine auffällige Wunde am Hinterkopf, und die ist definitiv
nicht durch den Unfall entstanden. Eine Rissquetschwunde, Haut aufgeplatzt,
Blut ausgetreten - das Blut eben, das wir auf den Steinen gefunden haben.«
    Wieder machte er eine Pause, hüstelte ein bisschen.
»Außerdem«, sagte er, und man hörte die Zufriedenheit in seiner Stimme, »habe
ich winzige Spuren von Moos in der Wunde festgestellt. Wir können eindeutig
zuordnen, dass es sich um Moos von den Steinen am Rastplatz handelt.«
    Er nickte ein paarmal. Dann fuhr er fort: »Siehst du hier
diese Male?« Er zeigte auf die dunklen Flecken, die sich am Hals des Mädchens
gebildet hatten. Franza nickte bedächtig. »Würgemale.«
    »Genau«, sagte Borger. »Sie muss gewürgt worden sein, und
dann ist sie wohl gestürzt oder gestürzt worden und mit dem Hinterkopf auf den
Steinen gelandet.« Franza runzelte die Stirn. »Hat sie sich gewehrt?«
    »Keine Fremd-DNA unter den Fingernägeln, falls du das
meinst«, sagte er bedauernd.
    Sie seufzte. Wieder schaute er ihr aufmerksam ins Gesicht.
Ja, dachte er, das ist neu, dieser Zug um den Mund, die müden Augen. Ihre Haare
aber waren blond wie eh und je. Immer noch der rötliche Schimmer, der Glanz,
vielleicht aber hatte sie einfach nur einen guten Friseur. Tja, stellte er
resignierend bei sich fest, es ist nicht zu ändern, wir werden alt. Und merkte
staunend, wie vertraut ihm der Gedanke war, wie so oft schon gedacht und gar
nicht mehr neu.
    »Wie ging es weiter?«, fragte Franza, der nicht entgangen
war, dass Borger sie eindringlich musterte. »Sie lag also da.«
    Er nickte. »Ja. Und hatte wohl das Bewusstsein

Weitere Kostenlose Bücher