Das Regenmaedchen
verloren.«
»Aufgrund des Schlages.«
»Aufgrund einer Commotio cerebri.«
»Gehirnerschütterung.«
Er lächelte verschmitzt. »Wie wir Lateiner sagen. Jawohl.«
»Und wie lange hat diese Bewusstlosigkeit gedauert? Wie
lang lag sie da?«
Er überlegte. »Naja, vielleicht eine halbe Stunde. Eher
weniger. Allerdings hatte sie einiges an Alkohol im Blut, das heißt, ihre
Wahrnehmung war auch dadurch getrübt.«
»Das heißt?«
»Dass ich es nicht genau eingrenzen kann. Es könnte
kürzer, aber auch länger gewesen sein. Aber eher kürzer.«
»Könnte er sie für tot gehalten haben?«
Borger überlegte, kratzte sich nachdenklich am Kinn,
wiegte den Kopf. »Doch«, sagte er dann. »Durchaus. Wenn man mit dem Tod nicht
vertraut ist. Und wenn man dann noch in Panik ist, nicht mehr Herr seiner
Sinne, dann denke ich, doch, das könnte vorkommen.«
»Als sie erwachte, wusste sie da, was geschehen war?« Er
schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt.«
»Kurzgradige Amnesie aufgrund der Gehirnerschütterung?«
»So ist es.«
»Und die reicht wie lange zurück?«
»Kann man nicht genau sagen. Mit Sicherheit wusste sie
nicht sofort, dass ihr ein Schlag zugefügt worden war.«
»Das heißt, sie erwacht und hat keine Ahnung, wo sie ist
und warum sie da ist. Sie weiß nur, es ist dunkel um sie herum, und sie hat
starke Kopfschmerzen. Überhaupt ist irgendetwas an ihrem Kopf anders. Sie fasst
sich in die Haare, spürt etwas Klebriges, Flüssiges, muss logischerweise
annehmen, dass es Blut ist, denn was sonst sollte es sein. Sie bekommt Panik,
will fort aus der Dunkelheit, vielleicht lauert ja auch noch jemand in den Büschen
auf sie, sie hört den Straßenlärm, sieht die plötzlichen Lichter, läuft darauf
zu und ... Zack!« Borger nickte. »Ein durchaus realistisches Szenario.«
Franza blickte hoch von der Toten auf dem Seziertisch und
Borger ins Gesicht. »Ist sie vergewaltigt worden?«
»Nein.« Borger schüttelte den Kopf. »Aber
Geschlechtsverkehr hatte sie. Allerdings keine Spermaspuren. Es wurde ein
Kondom verwendet. Aber ich habe noch etwas anderes Interessantes für dich.«
Er nahm die Arme der Toten und drehte sie so, dass die Innenflächen
zu sehen waren. Von den Ellenbogen aufwärts und abwärts waren sie übersät mit
länglichen Narben. »Wow!«, machte Franza leise. »Du weißt, was das ist?«,
fragte Borger.
Sie nickte. »Natürlich. Selbstverletzungen. Sie hat sich
also geritzt. Geschnitten.«
»Du findest jede Menge auch auf der Innenseite der
Oberschenkel.«
»Wie alt?«
»Jahre. Keine frische Narbe dabei.«
Nachdenklich nahm Franza das Tuch, das zurückgeschlagen
auf den Hüften des Mädchens lag, und zog es hoch bis zu ihrem Gesicht. Lass es
dir gutgehen, dachte sie, flieg durchs All. Dann legte sie das Tuch vorsichtig
nieder und nickte. Borger verstand und winkte dem Sektionsgehilfen, der
unauffällig im Hintergrund gewartet hatte. Er löste den Seziertisch aus seiner
Arretierung, fuhr ihn hinaus und brachte das Mädchen zurück in die Kühlung.
»Okay«, sagte Franza. »Das reicht vorerst. Sagst du mir Bescheid, wenn du alle
Untersuchungen abgeschlossen hast?«
»Klar.« Borger nickte. »Mach ich.«
»Ich geh mal voraus«, sagte Arthur aus dem Hintergrund, und
da merkten sie, dass sie ihn vergessen hatten. »Ich warte beim Auto.«
»Alles klar?«, fragte Franza.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte Borger. »Schluck Wasser?«
Arthur hob abwehrend die Hände. »Nein. Nein, wirklich nicht. Frische Luft
reicht völlig.« Und schon war er verschwunden.
»Naja«, sagte Borger, verschränkte die Arme vor der Brust
und schaute ihm versonnen hinterher. »Ist noch jung.«
»Ja.« Sie lächelte und wunderte sich ein bisschen. »Geht's
dir gut?«
Er kam zurück, rasch, ein bisschen taumelnd. »Sicher.
Sicher. Also? Was ist?
Gehst du mit mir essen? Jetzt gleich? Es gibt da einen
neuen Italiener.«
Sie schüttelte den Kopf. »Mein Leben ist kompliziert
genug. Hast du immer noch keine neue Freundin?«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach! Die wollen alle
nur mein Geld. Ich bin ein einsamer Mann.«
»Mein armer Schatz!« Franza schüttelte in gespieltem Ernst
ihren Kopf. »Es ist wirklich ein Jammer!« Sie versetzte ihm einen liebevollen
Stoß. »Wahrscheinlich starrst du sie alle so an wie mich vorhin. Das ist
fürchterlich! Jedes Mal komme ich mir vor wie eine deiner Leichen. Noch dazu
heute. Wo ich so wenig geschlafen habe. Ich sehe uralt aus.«
Er begann zu grinsen und zog die
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