Das Regenmaedchen
sich auf der Abbiegespur ein, in der Hitze staute sich der
Verkehr weit zurück. Noch manch einer würde heute durchdrehen. »Und die
Kinder?«, fragte Felix. Franza zuckte hilflos die Schultern.
»Traurig ist das«, sagte Felix. »Sehr traurig. Was haben
wir nur für einen Beruf.« Franza versuchte zu lächeln. »Wir suchen die
Wahrheit«, sagte sie. »Wir finden die Wahrheit. Man muss das doch.«
Sie standen im Flur mit der geballten Kraft ihres Zorns
und ihrer Trauer.
Junge Frauen. Mädchen noch. Fünf. Eine war gefallen. Das
verziehen sie nicht. Eine würde nicht wiederkommen. Das hatte ihre Trauer
aufgerührt, noch mehr ihren Zorn.
Großgewachsen die Anführerin, klares, helles Gesicht,
Augen eingekleistert in schwarze Rahmen. Die anderen bildeten die Mauer.
Unangreifbar wollten sie sein, Mauer eben, verschwiegen
bis zuletzt, das sah man auf den ersten Blick, aber was sie wussten, war
vielleicht viel, vielleicht das Wesentlichste. Sie würden schwer zu knacken
sein, Franza machte sich da nichts vor, sie würden versuchen, manches auf
eigene Faust zu regeln, auch wenn es sie in Gefahr brachte. Die Gefahr war
ihnen nicht fremd, zeit ihres Lebens waren sie ihr begegnet, oft war es unmöglich
gewesen, ihr auszuweichen, darum waren sie hier, gestrandet, darum lebten sie
in diesem vermeintlichen Hort der Sicherheit. So standen sie in diesem Flur,
schweigend, in dunklen Hosen und Jacken, als gäbe es das Lichte nicht mehr und
nicht die Farben. Nur ihre Gesichter glühten hell in der Dunkelheit, spiegelten
ihre Verletzlichkeit, wenn man genau schaute, wenn man es verstand, genau zu
schauen. Dann sah man sie, die Verletzlichkeit in den eingerahmten Augen, das
Verwundbare, das oft schon Verwundete. Sie wussten, wie es war, wenn der
Schmerz aufbrach und sie verbrannte, sie kannten seine Beständigkeit, seine
Beharrlichkeit, und darum würden sie sich ihm verweigern bis zuletzt. Darum
waren sie eine Mauer, die den Schmerz nicht einließ. Anders den Zorn, er war
ihre Stärke, rächen wollten sie und sich wehren, bestrafen den, der bestraft
werden musste. Erinnyen, dachte Franza und fröstelte, Megären, Rachegöttinnen.
Wumm, dachte Herz, die knallen dich nieder, wenn es sein muss. Ob ich mich
besser ducke?
Sie waren in eine der Vorstädte gefahren, hinaus aus dem
Zentrum. Hier, in einem der Hochhäuser, hatte Marie Gleichenbach in einer von
Jugendamt und Fürsorge betreuten Wohneinrichtung gelebt. Zwei
übereinanderliegende Wohnungen waren miteinander verbunden worden, so dass man
sechs junge Frauen hier gut unterbringen konnte. Unterstützt von ihren
Sozialarbeitern und Betreuern versuchten sie, in einem bürgerlichen Leben zu
landen. »Kommen Sie«, sagte Martha Hauer, die Sozialarbeiterin, die das
Wohnprojekt leitete, und ging voraus in einen Raum, der sich als Wohnzimmer
entpuppte. »Es wird schwierig«, sagte sie, nachdem sie sich an den wackeligen
Wohnzimmertisch gesetzt hatten. »Sie sehen ja selbst.«
Franza nickte und schaute sich unauffällig um. Das Zimmer
versprühte den Charme eines Schulaufenthaltsraumes. Billige, abgewohnte Möbel,
Flecken auf der Couch, nichts, was irgendwie zusammenpasste.
»Tja«, sagte die Sozialarbeiterin, als hätte sie Franzas
Gedanken gelesen. »Wie überall fehlt es auch hier an Geld. Aber wir bemühen
uns.« Sie seufzte, schwieg für einen Augenblick. »Sagen Sie mir, was mit Marie
geschehen ist?« Herz räusperte sich. »Wir wissen noch nicht besonders viel. Wir
sind dabei, ihr Umfeld zu erkunden. Dabei sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen.
Sie waren ja wohl so etwas wie Ihre Familie?«
Sie überlegte, lachte ein kurzes, trauriges Lachen. »Ihre
Familie. Ja. Wenn man so will. Das hat ihr aber nichts genützt. Ich frage mich
...« Sie brach ab, schüttelte den Kopf, stützte ihn in ihre Hände, bedeckte das
Gesicht. Als sie wieder aufschaute, hatte sie sich gefangen. »Was für eine
schreckliche Sache. Sie war auf einem so guten Weg. Und jetzt das!«
Wieder schüttelte sie den Kopf, nahm ihre Brille ab,
putzte die Gläser mit einem Taschentuch. »Sie können sich nicht vorstellen«,
sagte sie, »was unsere Mädchen schon alles erlebt haben.«
Franza zuckte unbestimmt mit den Schultern. »Ach wissen
Sie«, sagte sie, »ich glaube, unsere Berufe berühren einander ein wenig. Was
genau versuchen Sie denn hier?«
»Wir sind eine Einrichtung für Mädchen zwischen siebzehn
und einundzwanzig. Wir helfen ihnen in die Selbständigkeit, versuchen ihnen,
wenn Sie so wollen,
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