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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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ins Bett. Auch die
Söhne. Je nachdem, und wahrscheinlich ist das gar nicht so schwierig. Die
Kinder wehren sich nicht. Wie könnten sie auch. Sie haben Angst. Und nie etwas
anderes kennengelernt.« Sie atmete tief durch, nickte heftig. »Wie das halt so
ist in unserem schönen Land. Und im Grunde zieht es sich durch alle Schichten.
Aber auch das wird Ihnen nicht neu sein.«
    Sie wandte erneut den Kopf, schaute aus dem Fenster. Sie
war zynisch geworden in den Jahren. Mutlos. Hatte zu viel gesehen, war zu oft
gescheitert in ihrem Bemühen. Idealismus? Was war das?
    »In meinem Beruf«, sagte sie und drehte sich den
Ermittlern wieder zu, »entwickelt man eine gewisse Abgebrühtheit. Genau wie in
Ihrem. Und das muss wohl auch so sein. Aber manches ... manches kommt einem
immer noch sehr nahe. Darum halten es die wenigsten meiner Kollegen lange aus.
Vier, fünf Jahre, dann gehen die meisten in andere Jobs.«
    Sie nickte zur Türe hin. »Jennifer da draußen. Die Große
mit den schwarzen Balken um die Augen. Ihr Vater hat im Vollrausch ihre Mutter
abgestochen. Sie musste zuschauen. Sie war elf. Sie hat ihre kleine Schwester
Jessica geschnappt und sich mit ihr im Keller versteckt. Da sind sie zwei Tage
lang gesessen. Als Polizisten endlich in den Keller kamen, stand Jenny
schützend vor ihrer Schwester, mit einem aufgeklappten Taschenmesser in der
Hand. Sie hatten Mühe, ihr die Waffe abzunehmen.«
    Ja, dachte Franza, du hast ja recht. Aber das wissen wir
doch alles. Sie stand auf und trat ans Fenster. Die Sonne glühte auf die
Straße.
    »Wenn ihr etwas nicht passt«, fuhr die Sozialarbeiterin
fort, »schlägt sie zu. Das geht ganz schnell. Ohne Vorwarnung. Zack! Eigentlich
dürfte sie deswegen nicht mehr bei uns sein. Gewalt ist hier verboten, das ist
oberstes Gebot. Keine Gewalt, kein Alkohol, keine Drogen, keine Prostitution.
Aber wo glauben Sie, wo sie wohl landet, wenn wir sie hinauswerfen?«
    Wieder schwieg sie für einen kurzen Augenblick. »Im
Finstern hat sie Angst, braucht ein Licht zum Einschlafen. Ist das nicht
lustig?«
    Nein, dachte Franza, nicht lustig. Ihr Blick ging hinaus,
brach sich an den Häusern gegenüber. Wie immer keine Weite. Keine Meere. Keine
Himmel.
    »Und Cosima, diese kleine Blonde. Ihr Vater ist Musiker,
die Mutter Ärztin. Sie hatten große Pläne für sie. Englischer Kindergarten.
Ballett. Klavierunterricht. Eliteschule. Studium. Sie wissen schon. Das
Megaprogramm. Die ganz große Welt. Das ganz tolle Leben. Aber Cosima hat nicht
mitgemacht, hat einfach nicht funktioniert, hat in der Schule versagt, hat zu
kiffen begonnen, ist im Vollrausch von der Polizei geschnappt worden, hat den
Familienwagen zu Schrott gefahren. Lauter solche Kleinigkeiten. Da haben sie
sie rausgeworfen. Herr und Frau Doktor. Mit fünfzehn.«
    »Sie können nicht alle retten«, sagte Franza ein bisschen
zu laut und meinte sich selbst.
    Die Sozialarbeiterin lachte ihr eigenartiges Lachen. »Ja,
nicht wahr. Das sehen wir am besten an Marie.«
    Sie schenkte Kaffee nach. »Marie war auf dem Weg, eine
Erfolgsgeschichte zu werden. Wahrscheinlich unsere einzige. Sie ist von einem
Tag auf den anderen wieder in die Schule eingestiegen, hat locker die
Reifeprüfung absolviert, wollte zum Studium nach Berlin. Sie hätte ein
Stipendium bekommen. Wir hatten schon einen Platz in einem Studentenwohnheim
für sie. Sie hätte es geschafft.« Stolz klang aus ihrer Stimme. Sie war vierzig
oder knapp darüber. Ihr hagerer Körper zeigte Anzeichen von Starrheit, ihr
Haar, das von flüchtigem Grau durchsetzt war, machte sie vermutlich älter, als
sie war. Wahrscheinlich war sie erst fünfunddreißig.
    Und wie ist das mit mir, dachte Franza zu Tode
erschrocken. Wie alt bin ich? »Was wollte sie denn studieren?«, fragte Felix
und warf Franza einen besorgten Blick zu. Was fürchtet er denn, dachte sie. Was
glaubt er denn, dass ich tue? Kindskopf.
    »Sie wollte Schauspielerin werden. Hatte sich angemeldet
zur Aufnahmeprüfung an einer Hochschule. Ich bin sicher, sie hätte es
geschafft.« Wieder der Stolz in ihrer Stimme, die Freude, die sich in ihr
Gesicht schob, zarter Abglanz eines zarten Rots, aufleuchtende Augen, schön war
sie da. Dann das Bedauern, die Melancholie.
    Franza hob die Augenbrauen. Nach Berlin. Schauspielerin.
So, so. Aha. »Hatte sie einen Freund?«
    »Nein. Kein ... Freund. Nicht dass ich wüsste.« Felix
hörte das Zögern in ihrer Stimme.
    »Aber sie war verliebt. Das hat sie ihrer Mutter
geschrieben. Wissen Sie

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