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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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sagen sollen. Es fiel ihr nichts ein. Er begann
wieder zu reden mit monotoner Stimme, heiser, ein Flüstern. Mit vorgestrecktem
Arm und gespannter Pistole flüsterte er seine Wahrheit Franza mitten ins Gesicht.
»Weißt du, was sie gesagt hat, Franza? Weißt du, was sie gesagt hat? Dass sie mich
liebt. Dass sie mich trotzdem liebt. Dass sie mir verzeiht. Dann hat sie Nicole
angerufen und hat ihr dasselbe gesagt. Dass sie mich liebt und mir verzeiht und
dass sie für mich da ist, gerade jetzt, wo es so schwer ist für mich wegen ...
des Unfalls. Und dann ... das Foto in der Zeitung und kein Schlaf mehr. Keine
Nacht. Kein Schlaf. Ich irre herum. Von Zimmer zu Zimmer. Ich saufe. Um nicht
zu denken. Aber ich denke trotzdem. Immer dasselbe. Immer im Kreis.«
    Er weinte. Wischte über sein Gesicht.
    »Dieser Unfall«, sagte Franza, »das war nicht deine
Schuld. Du hattest keine Chance. Jemand hat das Mädchen niedergeschlagen, sie
war verletzt, verwirrt, darum ist sie in dein Auto gelaufen. Du hattest keine
Chance. Genauso wenig wie sie.«
    Er verzerrte sein Gesicht zu einem Lächeln, eine mühsame
Fratze. »Nett, dass du das sagst, Franza. Nett. Hieß sie nicht Marie?« Franza
nickte.
    »Ein schöner Name. Marie.« Er begann zu zittern, wischte
über sein Gesicht.
    »Die Nicole ist weg, zu kompliziert, hat sie gesagt, zu
kompliziert.«
    Seine Zähne klapperten aufeinander. »Aber ich lieb die«,
sagte er. »Ich lieb die.«
    »Hör zu, Jens«, sagte Franza sanft. »Ich rede mit ihr. Wir
werden eine Lösung finden.«
    »Glaubst du?« Er lächelte. »Und sie? Sie dort? Juliane?«
    Er deutete mit der Pistole auf seine Frau. »Werden wir für
sie auch eine Lösung finden? Dass sie mich in Ruhe lässt?«
    Er beugte sich vor und flüsterte verschwörerisch in
Franzas Richtung. »Sie erdrückt mich. Verstehst du? Sie lässt mich nicht atmen.
Ich ersticke.«
    Er drehte sich um zu seiner Frau, schaute sie an, atmete
schwer. Dann wandte er sich wieder Franza zu, sprach so leise, dass sie ihn
kaum verstand.
    »Sogar jetzt noch«, flüsterte er. »Sogar jetzt noch, wo
sie weiß, dass ich sie ...
    betrogen habe, dass ich sie verlassen will, dass ich sie
nicht mehr liebe. Sie will mich nicht gehenlassen, nicht einmal jetzt, und
darum, darum muss ich sie mir doch vom Leib schaffen. Muss ich doch. Damit
Nicole wiederkommt. Damit ich wieder schlafen kann. Vom Leib schaffen muss ich
sie mir doch. Darf ich? Lässt du mich?«
    Franza schüttelte den Kopf, langsam, behutsam.
    Sein Blick wurde fragend, er senkte den Arm. »Nicht?
Franza? Soll ich nicht? Nein?«
    Franza atmete auf, ganz langsam, ganz vorsichtig atmete
sie auf. Sie erhob sich, setzte behutsam einen Fuß vor den anderen. »Nein«,
sagte sie sanft. »Nein. Besser nicht.« Sie streckte ihm ihre Hand entgegen.
»Besser nicht.« Da, plötzlich, schluchzte die Frau auf. Juliane.
    »Aber wir haben uns doch ...«, schluchzte sie. »Wir waren
doch ... Jens! In der Kirche. Weißt du nicht mehr? Bis der Tod uns scheidet!«
    Ihre Stimme wurde laut. Nein, dachte Franza, nein! Ihr
Herz krampfte sich zusammen.
    »Ja«, sagte Bohrmann. »Ja. Eben.«
    Dann hob er den Arm. Dann schoss er.

Es ging schnell. Wie ein Gedanke. Wie ein Pulsschlag.
    Der Schuss hallte durch das Haus, hallte durch Franzas
Kopf und nichts konnte getan werden.
    Franza stand wie erstarrt, spürte, dass sie zu Eis wurde,
ein fühlloser Klumpen. Juliane hatte den Mund geöffnet, aber kein Schrei kam
aus ihr. Ihr Kopf sackte nach unten, ihr Körper wurde schlaff, die Bluse färbte
sich, ein dunkler Fleck, ausfasernd an den Rändern, rasch größer werdend.
Franza dachte an die Augen. Man würde sie schließen müssen, weil sie es selbst
nicht mehr schafften, wieder Augen, die man schließen musste, Haselnüsse,
braun. Oder Äpfel, grün. Man würde sehen.
    Dann war das SEK zur Stelle. Lautes Brüllen, Poltern,
Bohrmann wurde entwaffnet, der Länge nach zu Boden geschleudert,
niedergehalten, Hände auf den Rücken.
    Im selben Augenblick war Felix da, erfasste die Situation,
schloss Franza in die Arme. Andresy kam, der Major, überprüfte die
Lebensfunktionen der Frau, sagte: »Exitus. Wir werden Borger verständigen.« Sie
gingen hinaus.
    Ein halbes Singen am Himmel zwischen den Sternen,
irgendwo. Sie atmete durch, tief. Es verklang.
    »Ich hatte Angst um dich«, sagte Felix.
    Sie sagte nichts, atmete tief.
    Zwei Polizeibeamte führten Bohrmann vorbei, Handschellen,
Schürfwunden im Gesicht und an den Armen, im vorherigen Leben

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