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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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ist.«
    »Die Wahrheit!«, sagte er. »Die Wahrheit ist geschehen.
Weißt du das nicht mehr? Du hast es doch selbst gesagt. Dass die Wahrheit
funktioniert. Immer! Ich hab mich auf dich verlassen, verstehst du? Ich hab
mich auf dich verlassen! Aber die Wahrheit funktioniert nicht! Nie! Und für
niemanden! Niemand erträgt die Wahrheit.«
    »Was für eine Wahrheit?«, fragte Franza und versuchte sich
zu erinnern, was genau sie gesagt hatte, im Morgengrauen, auf der Autobahn. Es
fiel ihr nicht ein. »Meine Freundin hat mich verlassen«, sagte Bohrmann und
schniefte und rang nach Luft. »Sie ist abgehauen, es ist ihr zu kompliziert
geworden.«
    Wieder fuhr er mit der Waffe durch die Luft, richtete sie
auf seine Frau, zurück auf Franza, hin und her. Die Frau weinte, zerrte panisch
an ihren Fesseln. »Sie ist schuld, dass Nicole abgehauen ist!«, schrie
Bohrmann. »Du bist schuld! Idiotin! Darum erschieße ich dich! Ich erschieße sie
jetzt!« Er legte an, streckte den Arm mit der Pistole durch, benutzte den
anderen als Stütze. Franza sprang auf, wünschte sich das SEK herbei. Gleich
hatten sie stürmen sollen, dachte sie wütend, gleich, auf der Stelle, dann wäre
das alles hier schon vorbei.
    »Jens!«, schrie sie und hoffte, dass er sie hörte, dass
sie durchdrang zu ihm, irgendwie. »Jens! Nein! Tun Sie's nicht! Seien Sie
vernünftig! Lassen Sie uns weiterreden!«
    Es gelang. Tatsächlich. Es gelang.
    Für einen Augenblick schloss er die Augen, dann ließ er
die Waffe sinken. »Also gut«, sagte er. »Reden wir. Reden wir weiter.«
    Er rutschte die Mauer hinter sich entlang zu Boden,
wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes über die Stirn, sagte: »Na los, rede.
Bring deine klugen Worte an. Das hast du doch sicher gelernt, du coole
Polizistin.«
    Franza streckte ihren Arm aus. »Geben Sie mir die Waffe,
Jens. Noch ist nichts geschehen. Noch lässt sich alles ins Lot bringen.« Er
weinte, schüttelte den Kopf. Die Tränen zogen Schlieren durch sein Gesicht.
»Die Waffe, Jens. Gib mir die Waffe«, sagte Franza. »Lass es gut sein.«
    Wieder schüttelte er den Kopf, trotzig wie ein kleines
Kind. »Nein!«, sagte er. »Bleib weg! Bleib weg. Ich hab kein Mitleid, zähl
nicht darauf.«
    »Ach, Jens«, sagte sie.
    »Wie heißt du gleich noch mal?«, fragte er. »Das war doch
so ein komischer Name.«
    »Franza«, sagte sie. »Ich heiße Franza. Das kommt von
Franziska.«
    »Ach!«, sagte er und lachte. »Das kommt von Franziska.«
    »Ja«, sagte sie. »Genau. Mir gefällt's auch nicht. Aber
seinen Namen kann man sich halt nicht aussuchen.«
    So plötzlich, wie er angefangen hatte, hörte er auf zu
lachen, sein Gesicht verfiel. »Nein«, sagte er, »und sein Leben auch nicht.«
Franza konzentrierte sich auf den Stimmungsumschwung.
    »Sein Leben schon gar nicht! Also, was soll das? Was
quatschst du hier für eine Scheiße? Franza!! Hä? Soll ich dir was sagen? Ich
schlafe nicht mehr. Seit dieser verdammten Nacht schlafe ich nicht mehr. Immer
sehe ich sie. Auf mich zukommen. In Zeitlupe. Und immer denke ich, das geht
sich aus. Das geht sich aus. Irgendwie geht sich das aus! Aber es geht sich nie
aus. Nie! Und immer höre ich diesen Stoß, Franza. Ich hör diesen Stoß, der
klingt wie ich weiß nicht, wie ... und dann ... fliegt sie.« Ein Schütteln
durchfuhr ihn, ein Frösteln.
    »Du warst wie aus Eis, als du aufgetaucht bist. Und hast
gesagt: Die Wahrheit geht immer. Und bist abgehauen und hast mich da
stehenlassen mit der sogenannten Wahrheit. Aber die Scheißwahrheit ist, dass
ich jemanden totgefahren habe! Die Scheißwahrheit ist, dass diese blöde
Schnepfe mir in mein Auto gerannt ist und alles kaputtgemacht hat. Alles. Alles
geht kaputt. Nur sie, sie dort, meine Frau, sie kapiert das nicht. Sie weiß das
nicht.« Er kam ins Flüstern, bald würde er keine Kraft mehr haben, Jens
Bohrmann, Franza sah es und hoffte darauf. Aber noch war es nicht so weit. »Ich
habe ihr die Wahrheit gesagt«, flüsterte er. »Der da, meiner Frau, habe ich die
Wahrheit gesagt. Bleib stehen, Franza! Warum ich nicht am Flughafen war, dass
ich nicht in Berlin war. Bleib stehen, Franza. Dass sie mir auf den Sack geht,
dass sie mir schon so lange auf den Sack geht, dass ich sie verlassen will!
Bleib, wo du bist, Franza! Bleib, wo du bist. Ich werde kein Mitleid haben.«
Sie schaute ihn an und wusste, so war es. Sie spürte die Kälte in seiner
Verzweiflung und fragte sich, was sie falsch gemacht hatte, was sie gesagt
hatte, was sie nicht hätte

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