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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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hatte er größer
gewirkt, nun war ein Knick durch ihn gegangen, ein Bruch, der nicht mehr heilen
würde. Er blieb stehen. »Ich hab's verbockt«, sagte er. »Nicht wahr?« Franza
nickte.
    »Die Kinder«, sagte er. »Kümmerst du dich?« Sie nickte.
»Wirst du mich besuchen?«, fragte er. »Nein«, sagte sie. »Nein.« Er nickte. Sie
führten ihn ab.
    Die Kinder standen an der Straße wie Wesen von einem
anderen Stern, zu klein für diesen Augenblick, zu klein auch für die kommenden.
Ihre Tante, Julianes Schwester, hatte sie mittags aus dem Kindergarten geholt.
Jens Bohrmann selbst hatte sie am Morgen angerufen und sie darum gebeten,
Juliane und er hätten einen Termin in Sachen Eheberatung. Nun war ein
Kriseninterventionsteam bei den Kindern, man umsorgte sie, schirmte sie ab, sie
würden in guten Händen sein. War das Hoffnung genug?
    Der Staatsanwalt kam, schäumte. »Frau Oberwieser!«,
polterte er. »Warum haben Sie nicht sofort nach dem Unfall für eine
Intervention gesorgt? Der Zustand dieses Mannes muss doch augenscheinlich
gewesen sein!« Sie schüttelte den Kopf, spürte die Müdigkeit durch ihre Adern
laufen wie schweres, altes Magma, spürte ihre Knochen wie Blei.
    »Ich habe keinen Anlass gesehen«, sagte sie. »Ich dachte,
es gäbe keinen Anlass.«
    »Da haben Sie sich ja wohl geirrt«, sagte er kühl. »Das
wird ein Nachspiel haben.« Arschloch, dachte sie, arrogantes Arschloch, was
weißt du schon?
     
    Sie hatte um eine halbe Stunde Ruhe gebeten. Saß im Hof
der Cafeteria im Schatten, schaute hinaus in die Sonne, fühlte sich herrenlos
und vogelfrei, preisgegeben der Anarchie ihres Kopfes.
    Der Wind fuhr leicht durch die blühenden Oleanderstöcke,
die anstatt eines Zaunes die Abgrenzung zum Parkplatz bildeten. Die Sonne
flirrte durch die prachtvollen Kronen, zitternd flatterten Schatten auf dem
Teer, als hätten Oleanderblätter Flügel, als flögen sie hinein in die lichte
Weite des Universums. Sie dachte an Arthurs graues Gesicht, als sie
herausgekommen war aus dem Haus, an die Schweißflecke auf seinem Hemd, an sein
Seufzen, das tief gewesen war und voller Erleichterung. Der Staatsanwalt
hingegen ... Sie schob den Cappuccino zurück, der längst kalt geworden war,
legte Geld auf den Tisch, ging.
    Nun waren es also zwei Tote, und Dr. Brückl, der Staatsanwalt,
der ein theatralischer Mensch war und ebensolche Auftritte liebte, hatte
möglicherweise recht.
    Hätte sie eine Krisenintervention anordnen sollen? Nachdem
das Mädchen Bohrmann ins Auto gestolpert war und damit nicht nur sich selbst,
sondern auch ihn aus seinem Leben herauskatapultiert hatte. Aber hätte sie
ahnen können, müssen, dass sein Leben so verquer war, dass er keinen Ausweg
finden würde, nur im Tod?
    Hätte sie wissen müssen, dass er durchdrehen würde?
    Männer verließen ihre Frauen. Frauen verließen ihre
Kinder. In einer Stadt wie New York heulten ohne Unterbrechung die Sirenen, in
einer Stadt wie dieser kroch aus der Donau der Nebel und deckte alles zu,
zumindest von Zeit zu Zeit. Franza sah die Frau vor sich, Bohrmanns Frau.
Juliane.
    Sie hatte ihn, Jens, geliebt, auf eine Weise, die gefährlich
war, weil sie dem Tod näherstand als dem Leben, weil sie symbiotisch mit ihm
verbunden war, so symbiotisch, dass es kein Entrinnen gab. Sie hingen in diesem
Netz fest wie die Beute einer Spinne und waren sich Beute und Spinne zugleich.
Franza verstand es nun, verstand, dass sie keine Chance gehabt hatten, keinen
Ausweg, nichts. Auf der Straße stand Felix ans Auto gelehnt, die Türen weit
offen, die Hitze war erdrückend, lähmte. Blei, dachte sie, Knochen wie Blei.
Wann zerfalle ich? »Ich glaube, sie wollte sterben«, sagte sie, als sie zurück
ins Büro fuhren. »Sie hat gewusst, was sie sagen muss, damit er sie erschießt.
Sie hat es gesagt.« Felix warf ihr einen überraschten Blick zu. »Warum?«
    Sie musste nicht nachdenken. »Weil er sie nicht mehr
geliebt hat«, sagte sie dann. »Und sie nichts war ohne seine Liebe.«
    »Meinst du wirklich?«, fragte Felix. »Findest du das nicht
ein bisschen weit hergeholt? Ein bisschen pathetisch?«
    Franza schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »So ist das
gewesen.« Sie schwiegen. Franza dachte an das, was Port gesagt hatte, nur
wenige Stunden war das her und doch hatte sie das Gefühl einer Ewigkeit. Vom
Sich-Entscheiden hatte er gesprochen, Port, vom Sich-Entscheiden im Bruchteil einer
Sekunde. Zum Leben oder zum Tod. Und wie kurz es doch war vom Leben zum Tod.
Felix ordnete

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