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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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und welche Rolle er im Leben ihrer Mutter gespielt und wie es geendet
hatte. Aber dieser Gedanke war absurd, alles war so endgültig weggepackt, wie
sollte sie etwas erfahren haben, er hätte niemals davon erzählt und ihre Mutter
genauso wenig. Außerdem hatte sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie, was ihm
nur recht sein konnte. Auch da hatte es Vorkommnisse gegeben, schwarze Flecken
auf weißem Grund, nicht umsonst hatten sie stapelweise Berichte der Fürsorge
und der Jugendpsychologie bekommen, aber erfand, das waren Dinge, die man
besser unter den Tisch kehrte, und folglich war er nie darauf erpicht gewesen,
all diese widerlichen Einzelheiten zu lesen.
    Er stieg aus, ging langsam zu der überdachten Sitzgruppe,
ein junges Pärchen hatte sich breit gemacht, Engländer, alternativ gekleidet,
wahrscheinlich wollten sie zu dem Festival, das ab morgen hier bei ihnen
stattfand. Er nickte ihnen zu, sie lächelten zurück und beachteten ihn nicht
weiter.
    Er setzte sich mit dem Rücken zu ihnen, lehnte sich an die
Tischkante, schraubte den Verschluss von der Flasche, zog eine Zigarette aus
der Packung. Hier also.
    Er schloss die Augen, beugte sich vor, die Bilder kamen,
ein kurzes Flennen durchschüttelte ihn, ein Zittern, dann war alles wieder
klar. Hier war es geschehen, zumindest der erste Teil, der, den er sich schon
verziehen hatte. »You are okay?« Sie hatten sich ihm zugewandt, musterten ihn
besorgt. Er hob beschwichtigend die Arme. »Oh yes, okay. Thank you.« Sie zogen
sich diskret zurück, er hatte seine Ruhe wieder.
    Dort, wo die Engländerin saß, an der Ecke des Tisches,
hatte Marie gesessen, zu Beginn, als noch keiner von ihnen ahnte, wie die Sache
enden würde. Vielleicht, wenn sie nicht so ungünstig gesessen hätte, hinter
sich die aufgehäuften Steinblöcke, vielleicht...
    Nein, dachte er und schüttelte den Kopf, es ist müßig,
darüber nachzugrübeln. Was geschehen ist, ist geschehen. Sie hätte einfach
nicht mit dieser Sache, einfach nicht mit dieser Sache ...
    Er hatte sie angerufen am Nachmittag, kurz bevor der Regen
einsetzte. Er wollte sie sehen nach ihrer Feier, er wollte sie elegant zum
Essen ausführen, wie es ihr gebührte, es sollte ihr Abend sein. Aber sie hatte
sich bitten lassen.
    Sie wolle nichts mehr von ihm. Sie mache diese
Aufnahmeprüfung. Sie werde sie bestehen. Es sei vorbei. Sie gehe nach Berlin.
Nichts und niemand könne sie zurückhalten. Es sei vorbei. Er müsse sich daran
gewöhnen.
    So etwa. In diesem Ton. Mit fester Stimme.
    Er war wie vor den Kopf gestoßen, bat, jammerte, flehte,
rief ein zweites Mal an, ein drittes Mal. Er spürte, wie alles sich
wiederholte, die Angst fraß ihm die Knochen leer, einen Jammerlappen hatte sie
aus ihm gemacht, die Zeit war nichts zwischen damals und heute. Er spürte, dass
alles sich wiederholte, und redete um sein Leben. Schließlich sagte sie ja.
    Dann hatten sie sich getroffen nach ihrer Feier, sie war
so schön gewesen und er hatte sich eingebildet... für ihn.
     
    Franza stellte den Bären auf Felix' Schreibtisch und legte
die Blätter mit Bens Schreibversuchen daneben.
    Das Staunen in Felix' Gesicht schwand rasch, er verstand,
nahm den Bären, hielt ihn hoch. »Den hast du also in Maries Zimmer gefunden?
Das hat dir diesen Schock versetzt?«
    Sie nickte und zeigte auf die Papierblätter. »Und die in
Bens Zimmer.« Er nickte. »Die Liebesgeschichte. Das ist also Ben.«
    »Ja«, sagte sie. »Das ist mein Ben.«
    »Und du kannst ihn nicht erreichen?«
    Sie zog die Schultern hoch und schloss kurz die Augen. »So
ist es. Seit vier Tagen nicht. Seit diesem Morgen nicht.«
    Er stand auf, trat ans Fenster, schaute hinaus. Sie
wusste, was er sah, sie kannte diese Aussicht zu hundert Prozent, die Straße,
die sich verzweigte, das Haus gegenüber, das Fenster mit den zerrissenen
Vorhängen, das nie geöffnet wurde, den kleinen Balkon, übersät mit leuchtenden
Geranien, die Frau, die regelmäßig die alten Blüten wegzupfte.
    »Ich verstehe, dass du dir Sorgen machst«, sagte er
schließlich und drehte sich rasch um. »Schaffst du es?«
    »Ja«, sagte sie. »Natürlich.«
    »Du weißt, was normalerweise ...«
    Sie unterbrach ihn. »Ja. Ich weiß. Aber ich kann mich
nicht von diesem Fall abziehen lassen. Du verstehst das!«
    »Ja«, sagte er, ohne nachdenken zu müssen. »Natürlich versteh
ich das. Aber wir sprechen alles ab. Keine Alleingänge.«
    Sie nickte.
    »Also gut«, sagte er. »Dann lass uns mal analysieren. Du
kennst deinen Sohn

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