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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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aus Ereignissen, die plötzlich über sie
hereingebrochen waren? Hatte alles Schwimmenlernen nichts genützt? Ben, dachte
sie, wo bist du? Was hast du getan?
    Endlich ging sie in sein Zimmer, suchte nach Hinweisen,
nach Beweisen, wurde rasch fündig. Gekritzel auf dem Schreibtisch, im
Papierkorb, das sie mühsam, aber doch entzifferte.
     
    Marie in der Straßenbahn.
    Marie, die Feine.
    Marie, die Superkleine.
    Marie in der Straßenbahn.
    In mein Herzlein klein kommt Marie nur rein.
    Auf Maus reimt sich Laus und der Klaus.
    Das Apfelfetzchen im Weiß ihrer Zähne wird seinen ewigen
Weg -
     
    Mehr konnte sie nicht mehr entziffern, aber sie erinnerte
sich, Bens Deutschlehrer waren immer zufrieden mit ihm gewesen.
     
    Halb sieben. Immer noch hatte sie Zeit, und die Zeit
verging nicht. Max kam zum Frühstück. Sie wunderte sich. »Du bist schon auf?«
    Er hob die Augenbrauen und schaute sie erstaunt an. »Wir
haben Freitag. Da öffne ich die Praxis um acht, falls du dich erinnerst.«
    Sie sagte nichts, nickte nur. Erzählte nichts von Ben,
nichts davon, was gestern alles geschehen war. Hatte das Gefühl, er gehöre
nicht mehr zu ihr, es gehe ihn nichts mehr an. Das sagte sie ihm schließlich.
    »Ich ziehe aus«, sagte sie. »Ich suche mir eine Wohnung in
der Stadt.«
    Er war überrascht, nickte aber, setzte sich neben sie. Sie
starrten in den Garten, in die tropfenden Sträucher, hörten den Wind rauschen,
den Regen.
    »Warum jetzt?«, fragte er.
    Sie wusste keine Antwort, alles war so kompliziert, alles
vermischte sich, die Tote, Ben, das Kind in Schweden, die Zwillinge.
    »Felix wird wieder Vater«, sagte sie. »Zwillinge. Stell
dir vor!«
    Er nickte. »Ja. Ich weiß schon. Hat er mir gestern
erzählt. Warum jetzt?«
    Sie strich sich über die Stirn, über die Augen. »Ich weiß
es nicht. Ich kann es dir nicht sagen.«
    »Dann wird es am besten sein, das Haus zu verkaufen«,
sagte er leise. »Was soll ich hier alleine.«
    »Nein«, sagte sie und wandte sich ihm heftig zu. »Wenn Ben
wiederkommt...«
    »Ach was!«, sagte er. »Ben kommt nicht wieder. Ben lebt
sein eigenes Leben, hast du das nicht gemerkt?
    Es gibt ein Mädchen, er will mit ihr nach Berlin. Ganz
große Liebe. Er will sie uns vorstellen, nach dem Urlaub.« Sie erstarrte, das
alles hatte er gewusst?
    »Ja«, sagte er. »Da staunst du, was? Nur weil ich ein Mann
bin, bin ich nicht blöd. Wir gehen manchmal gemeinsam in die Sauna. Da erzählt
er hin und wieder etwas. Dein Sohn ist erwachsen geworden.« Sie nickte, musste
es schmerzend zur Kenntnis nehmen.
    »Ich sage das nicht, um dich zu verletzen«, sagte er. Sie
nickte wieder, stand auf, stellte ihre Tasse in die Spüle.
    »Hier ist genug Platz für uns alle«, sagte Max. »Du musst
nicht gehen.« Sie drehte sich um, schaute ihn an.
    »Ist es wegen ihm?«, fragte er. »Glaubst du, dass er in
der Stadt bleiben wird? Er kann überall im deutschsprachigen Raum Engagements
kriegen. Und er ist noch nicht alt genug, um das nicht mehr zu wollen.«
    »Woher ...?«, begann sie.
    Er zuckte die Schultern. »Wie gesagt, nur weil ich ein
Mann bin ...« Er stand auf, umarmte sie, kurz überwehte sie der Glanz der
frühen Jahre. »Dieses Mädchen«, sagte sie, bevor sie ging. »Bens Mädchen. Sie
heißt Marie, sie ist unsere Tote.«
    Er starrte sie an, ungläubig, fassungslos.
    »Überleg dir das mit dem Auszug«, sagte er endlich leise.
»Du musst nicht gehen. Es ist genug Platz. Ben wird uns beide brauchen.«
    Sie ging. Sie würde darüber nachdenken. Noch war nicht
alles verloren.
     
    Er packte eine Flasche Wasser ins Auto und fuhr los,
hinunter vom Parkplatz, hinaus aus der Stadt, Richtung Autobahn, Richtung
Berlin, vorbei an der Ausfahrt Lenting, Rastplatz, stopp. Jeden Tag seit diesem
Tag.
    Es war schiefgelaufen, verdammt schiefgelaufen. Aber er
konnte nichts dafür. Sie war selber schuld. Warum hatte sie auch angefangen mit
dieser. .. Sache.
    Es war so schön gewesen. Zumindest am Anfang. Sie hatten
sich gesehen in diesem verrückten Rhythmus, den sie vorgegeben hatte. Sie hatte
ihn beflügelt, gestärkt, plötzlich konnte er wieder nach vorne schauen,
plötzlich hatte alles wieder Sinn.
    Aber dann war sie zurückhaltender geworden, distanzierter,
schaute ihn auf eine Weise an, die ihm nicht geheuer war. Er wusste nicht,
warum, konnte auch den Zeitpunkt der Veränderung nicht benennen, wahrscheinlich
war es ein schleichender Prozess gewesen.
    Manchmal hatte er das unangenehme Gefühl, sie wüsste, wer
er war

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