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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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bekäme, und Max rügte ihn, weil er sich nicht früher gemeldet
hatte wegen der Schmerzen, selbstverständlich werde er ihn gleich am nächsten
Tag einschieben, wann er denn Zeit hätte, und dass Angelika sich nicht so
anstellen solle.
    Franza konnte durch das Dachfenster über ihrem Bett das
Licht sehen, wie es besonders wurde und in den Abend knickte. Am Himmel zog ein
Flugzeug Kondensstreifen, die waren anfangs glatt, dann faserten sie langsam
aus und verloren sich im abendlichen Blau der Dämmerung, während Franza in ein
unruhiges Schlafen glitt.
    Als Felix drei Stunden später leise in sein Schlafzimmer
schlich, schlief auch Angelika tief und fest. Er setzte sich vorsichtig an die
Seite ihres Bettes und schaute sie lange an. Sie erwachte, grummelte ein
bisschen vor sich hin, drehte sich um, fragte: »Wo bist du denn so lange
gewesen?«, und schlief weiter. Sieben würden sie bald sein. Er begann sich ein
bisschen zu freuen, ein bisschen nur. Auf diese Zwerge, die zu zweit kommen
wollten aus irgendeinem Grund, den er, Herz, nicht kannte. »Ihr müsst euch
nicht fürchten«, sagte er leise. »Ich bin ja da.«
    Während er auf Angelikas regelmäßige Atemzüge achtete,
fiel ihm plötzlich ein, dass diese Zwillingsschwangerschaft vielleicht noch
eine weitere positive Seite hatte.
    Vielleicht, ja, er hoffte es aus tiefstem Herzen,
vielleicht würde Angelika endlich bereit sein, jemanden einzustellen, der ihr
das Kochen abnahm. Nur ein bisschen, dachte er, und ihm wurde warm ums Herz,
nur ein bisschen, nur so viel, dass er einmal, vielleicht zweimal in der Woche
etwas vorgesetzt bekam, was wirklich und wahrhaftig essbar war, etwas
Wohlschmeckendes, etwas, auf das man sich freuen konnte mit jeder Faser seiner
Mundschleimhaut. Dann, dachte er, dann von mir aus auch noch ein weiteres Kind,
ein sechstes, wenn sie will, auch schon egal.
    Er wusste, es war Verrat, trotzdem, er konnte nicht
anders. Er liebte sie, aber ihre Kocherei war das Letzte.
    Diese merkwürdigen Höhere-Tochter-Geschichten, die sie
tagtäglich zubereitete und die ihm den Appetit schon vergällten, wenn er sie
nur sah, undefinierbare Dinge, aber gesund, so gesund, wie sie versicherte.
    Gott sei Dank gab es die Franza mit ihren Keksen, die sie
tagaus, tagein anschleppte. Das ganze Jahr über vermittelte sie ihm damit das
Gefühl einer bauchfüllenden Weihnachtlichkeit, die das Heimweh nach den
deftigen Speisen seiner Mutter, einer gestandenen Bäuerin aus dem Allgäu, ein
wenig minderte. Wehmütig dachte er an sie, an ihre Braten und Knödel, ihre
Eintöpfe und Mehlspeisen, ihre Kuchen und Torten. Auch als er schon zu Hause
ausgezogen war und in Frankfurt studierte, hatte sie ihn noch verwöhnt. Ihre
Proviantpakete waren legendär gewesen, mit seinen Kommilitonen hatte er Gelage
gefeiert, die sich gewaschen hatten.
    Er tippte leicht an Angelikas Bauch, der noch flach war
wie ein Brett, und bat sie inständig um Verzeihung. Er dachte an die Welt, wie
sie groß gewesen war und er klein und wie sich genau das in der Mitte seines
Lebens umzukehren begonnen hatte.
    Schließlich stand er auf, zog sich aus und stellte sich in
den kalten Strahl der Dusche. Als er zurückkam, hatte Angelika sich
freigestrampelt. Er zog das Laken über sie. »Nein!«, murmelte sie. »Lass! Es
ist zu heiß.« Als er sich an sie kuscheln wollte, um seiner ehelichen Pflicht
nachzukommen, sagte sie es noch einmal.
    Er wusste, das war die Strafe. Er nahm sie demütig an.
Träumte dann. Von gebratenen Enten. Von Hirschkeulen. Von köstlichen Düften,
die durch die Luft zogen. Vom Schlaraffenland.
     
    Über Nacht hatte es sich abgekühlt. Franza nahm es
erleichtert zur Kenntnis, saß an der offenen Terrassentür, trank Kaffee,
entspannte sich in der Frische, die ins Zimmer drang, und im Regengeruch und
sah den Schlieren auf dem gekippten Fenster zu, wie sie sich einregneten.
    Es rauschte wie in ihrer Kindheit am Bach, manchmal war er
über die Ufer getreten und ins Haus. Sie fühlte sich wie damals, als man auf
Tische klettern musste, als die Erwachsenen einen auf die Schultern nahmen und
forttrugen, fort aus dem vertrauten Zimmer, dem vertrauten Haus. Sie fühlte
sich, als ob man sie wieder forttrüge, diesmal aus der Vertrautheit ihres
Lebens. Die größte Sorge ihrer Eltern war gewesen, dass sie ertrank. Im Bach.
Darum hatten sie ihr Schwimmen beigebracht mit einer Vehemenz, die
ihresgleichen suchte. War es nun trotzdem so weit? Würden sie nun doch alle
ertrinken in diesem Strudel

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