Das Regenwaldkomplott
gehoben wurde und Luigi sie hinausfuhr in ein Krankenzimmer. Ebenso wortlos folgte ihm Benjamim Bento und half, Leonor ins Bett zu legen. Helena hörte mit dem Beten auf, so plötzlich, daß sich Thomas und Luise zu ihr umdrehten. Bevor er es verhindern konnte, kniete sie vor ihm und küßte seine Hände. Ebenso schnell sprang sie wieder auf und rannte Bento nach.
»Was müssen das für Menschen sein, die so etwas tun können?!« sagte Luise, als sie neben Thomas am Waschbecken stand.
»Sie hat Glück gehabt, daß man sie nicht totgeschlagen hat. Solche Verbrecher lassen sonst keine Zeugen leben. Morgen werden wir erfahren, wie sie ihnen entkommen konnte.« Thomas trocknete seine Hände ab. »Sie hat es überstanden, aber dieser Bento macht mir Sorgen.«
»Wieso?«
»Er hat vorhin eine Bemerkung gemacht, die mir gar nicht gefällt. Er denkt an Rache, und das heißt nach dem Gesetz der Gesetzlosen zwei Tote. Oder nur einen, ihn, wenn die Mistkerle ihm auflauern.«
»Du hast recht.« Sie sah ihn entsetzt an. »Wie kann man das verhindern?«
»Gar nicht.«
»Wir wissen es und können nichts tun?«
»So ist es.«
»Man müßte Bento in Schutzhaft nehmen, wenn man hier so etwas kennt.«
»Für wie lange? Bento hat Zeit, man kann ihn nicht sein Leben lang festhalten. Wenn die Kerle ihre Haut retten wollen, müßten sie so schnell wie möglich Novo Lapuna verlassen. Heute noch.«
»Sollen diese ›Tiere‹ vielleicht ungestraft entkommen?! Bei einem so scheußlichen Verbrechen! Wozu ist die Polizei da?«
»Die Polizei! Angenommen, es gelingt Ribateio wirklich, die beiden festzunehmen, dann müßte er sie sofort nach Boa Vista bringen. Hier würden sie nicht überleben. Bento würde sie aus der Station herausholen.«
Sie atmete ein paarmal tief durch und schloß einen Moment die Augen.
»Kannst du Bento nicht verstehen?« fragte sie stockend. »Wenn du eine Tochter hättest, die man so zugerichtet hat …«
»Ja, aber wir können nicht helfen. Ich kann nur Leonor länger im Hospital behalten, als es notwendig ist. Aber was ist damit gewonnen? Ich habe es schon gesagt. Bento hat Zeit.«
Leonor war aus ihrer Narkose erwacht, als Thomas und Luise in das Krankenzimmer kamen. Helena saß auf der Bettkante und hielt ihre Hände, Bento stand am Fenster und blickte stumm über den großen Platz vor der Mission. Schwester Lucia hatte Leonor ein langes Hemd angezogen. Thomas trat an das Bett.
»Leonor?« fragte er.
Sie nickte, aber es dauerte ein paar Sekunden, bis sie antwortete: »Danke … Herr Doktor.«
»Es wird dir bald bessergehen, du wirst schon sehen.«
»Mama sagt das auch … aber ich will nicht mehr. Ich bin so müde.«
»Natürlich, und du sollst jetzt viel schlafen. Versuch es.« Sie sah wie ein Kind aus, das in einem zu großen Hemd steckt. Zerbrechlich und verstört.
Bento drehte sich vom Fenster weg. Auch er sah aus, als habe er geweint. Seine Augen waren rot.
»Sie sagt, sie müßten ihr etwas in die Limonade getan haben. Sie schmeckte anders als sonst, etwas bitter. Und dann, sagte sie, weiß sie nicht mehr, was geschehen ist. Und dann waren die Schmerzen da, und sie wachte wieder auf –«
Thomas nickte. »In Ganovenkreisen gibt es ein Mittel, das ungefährlich, aber sehr wirksam ist. Sie nennen es K.-o.-Tropfen. Mit diesem chemischen Betäubungsmittel sind schon viele ausgeraubt worden, und sie hatten hinterher keinerlei Erinnerung mehr.«
»Die bittere Limonade.« Bento sah ihn an. »Das wird es sein. Doktor, ich danke Ihnen für diese Idee.«
»Was meinen Sie damit?« fragte Thomas vorsichtig.
»Wir haben nicht verstanden, wieso sie mit den fremden Männern mitgegangen ist. Jetzt wissen wir es.«
Es war keine ausreichende Antwort. Was hat Bento vor? dachte Thomas. Was fühlt und denkt ein Mann, wenn er eine so grauenhaft mißhandelte Frau, die er als seine Tochter betrachtet, ansieht? Wie würde ich handeln? Das hat mich Luise schon gefragt. Ja, was würde ich tun? Dem Gesetz vertrauen oder das Gesetz selbst in die Hand nehmen und nach dem Bibelwort handeln: Auge um Auge, Zahn um Zahn? Was würde ich tun?
»Sie muß jetzt Ruhe haben«, sagte er. »Wir sollten sie allein lassen.«
»Ich lasse sie nicht allein!« erwiderte Helena und blieb auf der Bettkante sitzen.
»Schwester Lucia wird bei ihr bleiben.«
»Und ich auch. Ich bin ihre Mutter.«
»Es ist besser, wenn –«
»Nein! Nein! Ich werde hier neben ihr auf dem Boden schlafen.« Helenas Körper zog sich zusammen, so wie
Weitere Kostenlose Bücher