Das Regenwaldkomplott
erzähle ich Ihnen einmal, wenn wir viel Zeit haben.«
»Hier haben wir immer viel Zeit.« Pater Ernesto trank seine Tasse Kaffee leer und erhob sich dann. »Ich bringe Sie zu Dr. Binder und Senhora Herrmann. Kommen Sie auch mit, Gilberto?«
»Selbstverständlich.«
»Es ist aber noch Kuchen da.« Ernesto grinste. »Wenn Sie zurückkommen, kann es sein, daß ich ihn schon aufgefressen habe.«
»Das muß verhindert werden.« Gilberto lachte, nahm das große Holzbrett, auf dem der Apfelkuchen lag, an sich und folgte Minho und Pater Vincence, die bereits hinausgingen. Pater Ernesto klopfte Gilberto fröhlich auf die Schulter.
Ich bin ein Mörder, dachte Gilberto plötzlich. Er wurde sehr ernst. Pater, wenn du wüßtest, wer vor dir steht. Mit dem nächsten Flieger kehre ich nach Boa Vista zurück. Man sollte es nicht glauben, aber ich habe wirklich so etwas wie ein Gewissen.
Zuerst gingen sie zu Dr. Binder ins Hospital. Thomas stand neben dem Bett und strich von neuem eine Antibiotika-Salbe auf die Stockstriemen auf Leonors Schulter. Helena und Benjamim Bento saßen auf der anderen Seite des Bettes.
Bento war vor einer Stunde mit einem schweren Motorrad aus Novo Lapuna gekommen. Emilio Carmona, der Statthalter der Mafia in der Goldgräberstadt, hatte ihn enttäuscht. »Nichts –«, hatte Carmona gesagt. »Ich habe alle Neuzugänge überprüft. Die von dir beschriebenen Halunken sind nicht dabei. Sie müssen also schon länger in der Mine sein.«
»Dann kriege ich sie nie. Wie soll ich fünfzigtausend Garimpeiros überprüfen? Mir kann jetzt nur noch der Zufall helfen.«
Und der Zufall half ihm wirklich. Der Zufall, daß Leonor so gut zeichnen konnte. Sofort, als Bento das Krankenzimmer betreten hatte, hielt ihm Helena die Blätter mit den Köpfen hin.
»Das sind sie!« sagte sie, schwer atmend. »Benjamim, jetzt kannst du sie finden.«
Bento betrachtete die Zeichnungen sehr lange. Sein Gesicht war angespannt, die Stirn kräuselte sich in Falten. Die Lippen hatte er zusammengepreßt. So sehen sie also aus, dachte er. Mit diesen Bildern werde ich von Haus zu Haus gehen. Es wird vielleicht Wochen dauern, aber ich bekomme sie. Und dann werden sie anders aussehen als auf Leonors Zeichnungen.
Thomas blickte hoch, als die Patres und die neuen Gäste ins Zimmer traten. Er legte ein Tuch über Leonors Schultern und drehte sich um. Ein strafender Blick traf die Patres. Er mochte es nicht, bei ärztlichen Handlungen gestört zu werden. Man platzt ja auch nicht in das Refektorium, wenn die Priester ihr Stundengebet hielten.
»Ihr bringt neue Patienten?« fragte er etwas abweisend. »Bitte wartet in meinem Untersuchungszimmer, bis ich hier fertig bin. Es dauert nur noch zehn Minuten. Oder handelt es sich um einen Notfall?«
»Verzeihung, Thomas.« Pater Vincence hob entschuldigend beide Hände. »Wir sind schon wieder weg.« Und draußen, im Flur, sagte er: »Er hat ja recht. Gehen wir in sein Zimmer.«
»Oder gehen wir unterdessen zu meiner Kollegin von der Biologie«, schlug Minho vor.
Am Abend saßen sie dann alle zusammen um den großen Tisch und genossen, was Luigi, der auch leidenschaftlich gern kochte, zum Essen serviert hatte. Lasagne, saftig und herrlich gewürzt, in den Schichten Spinat, Käse und große, fleischige, fächerförmige Pilze, die es nur hier in den lichteren, etwas sumpfigen Gebieten des Regenwaldes gab und die auch Luise unbekannt gewesen waren. Die Yanomami hatten ihr diese Pilze gezeigt, aber sie aßen sie nicht. Für sie waren Pilze etwas, das Pflanzen, Tiere und auch Menschen anfiel und zerstörte. In diesem feuchtheißen Klima gediehen Pilze und Schimmelpilze vorzüglich. Deshalb lebten die Yanomami nackt in ihren Malocas und wuschen sich, wann immer es möglich war. Auf einer glatten Haut setzt sich kein Pilz fest. Mit kindlichem Staunen hatten sie zugesehen, wie Luise einige der Pilze abgeschnitten hatte und sie mitnahm zur Mission.
Dort untersuchte sie die neue Art im Labor, machte Gifttests und Mikroschnitte für das Mikroskop und kam zu der Ansicht, daß diese Pilze ungiftig, eßbar und sehr schmackhaft waren, vor allem, wenn man sie zusammen mit gebratenen Speckstückchen garen ließ.
Thomas blickte sehr kritisch auf den Teller, als Luise zum erstenmal einen Pfannkuchen, gefüllt mit den neuen Pilzen, auf den Tisch stellte.
»Ist das so ein Glücksspiel wie bei dem japanischen Kugelfisch?« fragte er. »Entweder man überlebt das Menü, oder man ist in einer Stunde eine
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