Das Regenwaldkomplott
richtete sich auf und ging zu seinem Stämmchen. Helena starrte zu ihm hinüber. Mit einem Ruck hob Bento sein Beil, Helena tat es ihm nach.
»Bist du bereit?«
Sie nickte wortlos.
»Nicht eine Sekunde früher oder später.« Bento hob sein Beil und visierte den Strick an, der den gebogenen Stamm an den Eisenbolzen in der Erde festhielt. Duarte brüllte noch einmal auf.
»Nein!« schrie er. »Nein … neiiiin –«
»Jetzt!«
Bentos Beil sauste gegen den Strick und durchtrennte ihn, als sei er ein dünner Faden. Genau gleichzeitig zerhieb auch Helena ihr Seil.
Mit einer unvorstellbaren Kraft schnellten die gebogenen Stämmchen hoch. Als wäre kein Körper in ihrer Mitte, richteten sie sich auf und zerrissen Duarte in zwei Teile. Sein bis zur Brust zerteilter Körper hing zwischen den Bäumen wie aufgespannt.
Helena lief ein paar Schritte zurück, ließ das Beil fallen und sank dann in die Knie. Bento ging ungerührt hinüber zu José. Er hatte die Besinnung verloren und nicht gesehen, was mit Duarte geschehen war.
»Lena«, rief Bento mit ruhiger Stimme. »Komm her!«
»Ich kann nicht!« schrie sie. Die Worte überschlugen sich. »Mimo, bitte nicht noch einmal!«
»Denk an Leonor!«
»Erschieß ihn. Erschlag ihn, aber nicht noch einmal das. Nicht das –«
»Er hat sie blutig gepeitscht, den ganzen Körper. Er hat in sie hineingebissen, er hat sie genommen, als sie schon aufgerissen war.«
»Ich kann nicht. Ich kann nicht.« Sie drückte das Gesicht in den Waldboden. Was sie dann noch schrie, war nicht mehr verständlich.
Bento blickte hinunter zu José. Wie alt mag er sein? Vielleicht zwanzig oder dreiundzwanzig, nicht älter. Soll ich ihm eine Chance geben? Duarte war eine Bestie, er war der Anführer, aber der Junge hat alles nur mitgemacht und dann den Kopf verloren. Könnte er noch ein besserer Mensch werden? Ist er eine Chance wert?
Bento steckte das Beil in seinen breiten Gürtel zurück und wandte sich von dem aufgespannten José ab. Er ging hinüber zu der auf dem moosigen Boden liegenden Helena, umfaßte ihre Schultern und richtete sie auf.
»Komm«, sagte er beruhigend. »Wir gehen.«
Sie warf sich herum, umklammerte seine Beine und drückte ihr Gesicht gegen seinen Leib. »Hast … hast du ihn?« stammelte sie.
»Nein. Er lebt noch. Und ich gebe ihm die Chance, weiterzuleben. Ich lasse ihn hier zurück. Irgend jemand wird ihn finden und losbinden. Komm jetzt, Lena. Sieh nicht nach oben, blick zur anderen Seite. Komm.«
Er hob sie hoch, legte den Arm um sie und führte sie über den schmalen Pfad zurück zum Jeep am Ende der Urwaldstraße. Sie ging neben ihm her wie eine aufgezogene Puppe, mit staksigen Beinen, steifem Nacken, kraftlos hängenden Armen und leeren, wie gebrochenen Augen. Bento führte sie so, daß sie nicht mehr den zerteilten Duarte sah, hob sie am Jeep auf ihren Sitz und setzte sich hinter das Lenkrad. Bevor er den Motor startete, beugte er sich zu Helena hinüber und küßte sie auf den Hals. Ein Zittern durchlief ihren sonst starren Körper.
»Es war alles nur ein schrecklicher Traum«, sagte er und streichelte ihr versteinertes Gesicht. »Nur ein Traum, verstehst du? Du hast nichts getan. Gar nichts. Es waren nur Bilder einer unruhigen Nacht. Denk immer daran: Es war nur ein Traum.«
Er ließ den Motor an und fuhr so schnell, wie es die schlechte Straße erlaubte, zurück nach Novo Lapuna. In Helenas Haltung hatte sich nichts verändert. Wie ein Automat ging sie Schritt um Schritt ins Haus und blieb in der Mitte des Zimmers stehen. Bento verriegelte die Tür und griff nach Helenas Hand.
»Gehen wir schlafen«, sagte er und küßte sie wieder. Sie rührte sich nicht. Es war, als küsse er eine kalte, steinerne Statue.
Er führte sie ins Schlafzimmer, und als sie unbeweglich vor dem Bett stand, zog er sie aus und legte sie auf die Matratze. Dann zog auch er sich aus und streckte sich neben ihr aus. Er strich mit beiden Händen über ihren nackten Körper. Sie zeigte keine Regung, starrte nur an die Zimmerdecke.
Bento drückte sich eng an sie und nahm sie in seine Arme.
»Lena«, flüsterte er und atmete schwer. »Lena, komm zurück aus deinem Traum.«
Sie blieb stumm. Langsam nur drehte sie den Kopf zu ihm und sah ihn lange wortlos an. Und dann, plötzlich, als erwache das Leben neu in ihr, sagte sie mit zerbrochener Stimme: »Wie konntest du so etwas tun. Ich habe Angst vor dir. Du bist nicht mehr Mimo. Du bist es nicht mehr. Ich erfriere, wenn du mich
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